Mach nichts.
Das klingt banal und zugleich rebellisch – NICHTS TUN?!?!?
Aber wir müssen doch: Arbeiten, Sachen erledigen, die Welt retten und das Klima sowieso, am Frieden arbeiten, die anderen von unseren Themen und Meinungen überzeugen, die Wirtschaft ankurbeln, permanent up to date bleiben, rasch auf Veränderungen reagieren, die Work-Life-Balance schaukeln, zwischendurch meditieren und die Einkaufsliste erledigen …
Uff.
Wenn ich das nur lese, merke ich, wie mein Atem schneller wird und das Herz einen flotteren Rhythmus anschlägt. Dabei habe ich aktuell den Luxus, dass ich mich ganz in diese Zeitqualität sinken lassen kann … besser gesagt: Sinken lassen könnte.
Rückzug und Loslassen würden gerade optimal zu meiner aktuellen Lebensphase passen. Ehrlich gesagt bräuchte ich das auch gerade jetzt, nach einem brutal intensiven Jahr, bei dem ich immer wieder das Gefühl hatte, vom Tempo des Daseins schlicht überrollt zu werden und in jeder Hinsicht unter die Räder zu kommen. Jetzt aber hat es sich eingependelt, mir geht es wieder besser, die Dramen der letzten Monate haben einen Schorf auf der Seelenhaut gebildet und heilen langsam in die Tiefe.
Ich könnte ins Nichts tun sinken … aber kann ich das auch?
Wenn der Lebensablauf sich dem Jahreskreis inhaltlich anschließt, empfinde ich das immer als ein Geschenk, bei dem ich Mühe habe, es sofort so wertzuschätzen. Man sagt automatisch Danke und setzt eine passende Mimik auf. In Gedanken aber fragt man sich, wo man dieses ungewünschte Präsent dezent hinstellen kann, damit man es nicht dauernd als Erinnerung vor der Nase hat. Wie kommt mein Gegenüber auf die Idee, mir sowas zu schenken?!
Doch die Wahrheit ist auch: Wenn der Herbst ernst macht und der Winter vor der Tür steht, brauchen wir Ruhe. Und wir müssen anerkennen, dass das Abbremsen seine Zeit und Übung braucht, sonst schleudert es uns. Noch sind Geist und Körper im Leerlauf, wie am Ende eines wilden Marathons: Das Ziel ist erreicht, aber die Füße traben noch weiter. Langsam nur werden sie ruhiger. Das Herz braucht auch immer etwas länger, bis es sich wieder auf einen Ruhepuls eingependelt hat. Der Körper ist dennoch meist schneller im Ruhemodus, lange bevor der Geist sich auf diese Phase eingestellt hat.
Das Wetter hilft mir. Die aktuellen Temperaturen sind so, wie ich sie mir für November wünsche. Sonnenschein und kalte Luft wechseln mit Nebel, leichtem Schneegrieseln und Wind ab – klassisches Herbstwetter. Ein Spaziergang erdet und erinnert meine Zellen daran, dass sie mich daran erinnern sollen, dass im Bio-Kalender nur „Ruhe“ eingetragen ist.
Im Gegensatz zu vielen anderen mag ich auch die frühen Abende. Die beginnende Dunkelheit am Nachmittag zieht mich ins Haus, auf die Couch, mit Tee und einem Buch. Die Hundemadame schnarcht sanft in ihrem Bett und was an Arbeit im Garten liegen geblieben ist, kann ich nicht sehen – es ist ja finster ;-)
Das klingt verheißungsvoll, romantisch und gemütlich, aber: Ich muss erst den mentalen Einstieg in diesen Ruhemodus finden.
Einatmen – Ausatmen, die Augen schließen und dem rasenden Gedankenkobold ein Time-Out signalisieren. Der wehrt sich natürlich, wie immer, weil er im vollen Galopp durch einen Dschungel aus aktuellen Nachrichten, To-Do-Listen-Dringlichkeiten und „Kannst du mal“-Aufforderungen von Außen rast. Er kann nicht stehenbleiben, denn dann verliere ich ja den Anschluss, dann bin ich nicht mehr am Ball, werde von der Lawine an Infos überrollt. Man hat ihm (und mir) jahrzehntelang eingebläut, dass ich (und er) ja multitaskingfähig sind. Wir können alles rundum nonchalant und locker ausbalancieren und dabei Trompete spielend auf einem Seil tanzen, alles gleichzeitig. Ohne Netz.
DA KANN MAN DOCH NICHT AUF EINMAL STEHEN BLEIBEN UND (Schnappatmung!) N.I.C.H.T.S. TUN?!?!?!
Ich verrate dir ein Geheimnis: Man kann. Zwar nicht einfach so, weil man es zuerst lernen muss, was seltsam klingt, aber eine traurige Tatsache ist. Stehenbleiben, Ruhe geben, Nichts tun sind etwas, was wir nicht mehr können, als Erwachsene verlernt haben. Darum macht es zu allererst Angst, weil es für die meisten etwas Unbekanntes ist. Abgesehen davon passt es nicht in unsere wirtschaftsorientierte Zeit, die ständige Aufmerksamkeit und eine ominöses „Mehr“ fordert. Doch tief drinnen weiß das Kind in uns noch, dass es da mal eine Phase gab, wo das Staunen und einfach bei sich Sein der Weg war, auf dem sich die Wunder gezeigt haben. Wir haben es auch noch in unserer DNA, denn mit dem Schwinden des Tageslichtes steigt unser natürliches Bedürfnis nach Ruhe, ebenso das Schlafbedürfnis. Es ist in Studien nachgewiesen, dass wir im Herbst und Winter mehr Schlaf brauchen, zumindest in unserer Hemisphäre.
Darum:
Wann immer du die Möglichkeit dazu hast: Mach nichts. Schenk dir Ruhe, starr in die Luft, konzentrier dich auf das Ausatmen. Reduziere das Licht abends, rund um dich, schenk dir Kerzenschein, wann immer es geht. Dreh Radio und TV ab, lass die Stille sich ausbreiten. Die Umgebungsgeräusche dürfen außen vorbeiziehen. Du kannst dich mit Aromadüften oder einer schönen Räucherung beschenken – täglich, auch mehrmals. Unser Geruchssinn kann uns beim Ankommen im Ruhemodus unglaublich gut unterstützen und füttern gleichzeitig die Phantasie. Zimt, Lorbeer, Benzoe, Tonkabohne, eine Spur Kakao oder Vanille … und du hast ein unglaublich tolles Duft-Erlebnis, das deinen Gedankenkobold in eine schnurrende Katze verwandelt.
Dann bekommen die Füße wieder Kontakt mit dem Boden, Herzschlag und Atem sinken auf Normalniveau. Und dann öffnet sich die Tür zu deiner persönlichen Ruhe-Rückzugs-Loslass-Kraft.
2 Comments
Sabiene
Nichts zu machen kann auch ganz schön in Arbeit ausarten … ;-)
Aber du hast Recht. Ich bin im Oktober kurz vorm Burnout gestanden. Das hat mir echt zu Denken gegeben.
LG
Sabiene
Michaela Schara
Genau, nichts Tun ist Arbeit – und noch dazu eine sehr wichtige! :-)
Nichts tun ist auch nichts für Feiglinge, darum nur Mut, einfach mal probieren ;-)
Alles Gute für dich! Ich drück dir die Daumen, dass du dir diese Arbeit zutraust und ich bin sicher, du schaffst es!
Herzlichst,
Michaela