Kunterbunt & Anderes

Warum ich spontan in Japan war und ansonsten nur so rumhänge

Wobei “rumhängen” eigentlich so nicht stimmt, denn zur Zeit liege ich die meiste Zeit im Bett. Klingt nett, ist es nur leider nicht. Immer wieder kommen Mails und Anfragen, wann es wieder Wanderungen und Workshops geben wird – und warum es jetzt denn keine gibt. Ich würde ja gerne wieder wandern und workshoppen, sehr gerne sogar, aber es geht momentan nicht.

“Life is what happens while your busy making other plans”, ein Zitat von John Lennon und er hatte recht. Blöderweise musste ich aber feststellen, dass meine Pläne viel besser waren als das, was das Leben dann daraus gemacht hat. Dumm gelaufen, Pech gehabt. Aber im übrigen ist doch das Situative das, was das Leben so spannend macht, oder nicht?

Ich gesteh: es ist eher “oder nicht”, in meinem Fall.

Ich bin seit 2,5 Jahren krank. Was aber so gesehen auch nicht stimmt, denn wirklich gesund bin ich seit über 10 Jahren nicht, war es im Grunde genommen seit meinem 18. Lebensjahr nicht wirklich. Aber seit 2,5 Jahren eben noch weniger als davor, mal wieder.

Vorher, da gab es Dinge zu tun und eine Arbeit zu machen – eine die man nicht mit “Work-Life-Balance” in Schwung bringen musste. Sie hat auch so Spaß gemacht und täte es noch heute. Ebenso wie die Wanderungen und Workshops rund um Kult- und Kraftplätze, die ich immer wieder gerne, mit viel Begeisterung organsiert und durchgeführt habe. Ebenso das Erforschen neuer, alter Kult- und Kraftplätze, das immer-wieder-neu-Entdecken uralter Naturmythen, soziologischer Zusammenhänge und das Erleben der Lebendigkeit draußen im Wald, am Berg, im Garten, beim Spaziergang mit unserem Hund oder einfach beim Sitzen auf der Stiege. Vorher, da gab es irgendwie mehr, so etwas wie ein Leben, ein lebendigeres als das, was nun da ist.

Jetzt ist es anders, seit 2,5 Jahren.

Ich habe Morbus Crohn.

Und lebe mit dieser Diagnose seit über 10 Jahren.
Morbus Crohn ist eine nicht heilbare Autoimmunerkrankung, die zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zählt.

Und ich weiß leider, was diese Aussage bei vielen auslöst. Neben der Tatsache, dass es eine Igitt-Erkrankung ist (da geht´s bittschön darum, dass irgendwas mit dem Darm nicht in Ordnung ist … OMG, wie eklig), provozieren die Worte “chronisch”, “autoimmun” und “nicht heilbar” bei vielen fast reflexartig den sofortigen Reparaturtrieb und das Helfersyndrom. Meist bei jenen, die weder von der Erkrankung noch den besonderen Umständen eine Ahnung haben. Eine Reaktion, die völlig verständlich und immer lieb und aufrichtig helfend gemeint ist. Aber um es ehrlich zu sagen: In den meisten Fällen einfach nur schwer ertragbar und immer mühsam.

Falls nun der erste Impuls der war, mir einen hilfreichen Tipp zu geben: Danke, aber Danke nein. Bitte keine Tipps, Infos, Tricks oder Heilangebote. Bitte nicht. In absolut keinster Weise. Ich verstehe den Drang helfen zu wollen, habe ihn ja selbst auch. Aber bitte nicht in Form von Ratschlägen, Hilfs/Heilmitteln oder Belehrungen.*

Ich habe in 10 Jahren, die ich mit dem Wissen um meine Erkrankung lebe eine unzählbare Menge ungefragter Tipps und Hinweise bekommen – von “Lass dir doch einfach einen neuen Darm transplantieren” bis “Du wurdest in einem früheren Leben verflucht, ich reparier dir das”. Dazu unzählige Kräuter-, Medizin- und Wundermittel-Massage-Handauflegen-Empfehlungen, inkl. einer unüberschaubaren Flut an “ultimativ, supertollen Nahrungsmittelergänzungen”. Ganz zu schweigen von den ungefragt zugesandten Selbsthilfebüchern, Geistheilangeboten, Ernährungstipps und allerlei anderen, teils sehr schrägen und seltsamen Dingen. Manches lustig, manchens interessant, aber das meiste grenzüberschreitend.

Ich habe in 10 Jahren, die ich mit dem Wissen um meine Erkrankung lebe viele, unendlich viele eigene, persönliche Erfahrungen gemacht, teils auf die harte Tour, und mir einen großen, auch medizinischen, Wissensschatz angeeignet – zwangsläufig, denn ich hätte auch gut darauf verzichten können. Ich denke wirklich, dass ich mich, was meine Form von Crohn betrifft, sehr gut auskenne und medizinisch gut versorgt bin, auch was alternative Methoden betrifft.

Doch auch das beste Wissen hilft nichts, wenn der Crohn nicht will und seit über einem Jahr will er gar nicht und das bringt mich dazu, die meiste Zeit nur “fad rumzuhängen”, nichts zu tun. Man kann es auch als Dauer-Krankenstand bezeichnen. Ich bin einer von den Fällen, bei denen es ein wenig komplizierter ist – ich vertrage kein Cortison, habe sehr viele (Medikamenten)Allergien und gleichzeitig einen fallweise fast bösartig agierenden Crohn. Eine Therapie ist nicht einfach und sehr langwierig.
Fakt ist: Ich bin krank, zeitweise sehr krank, und kann aktuell einfach nur nichts tun. Wobei dieses “Nichts” daraus besteht, dass ich mit Unterstützung versuche wieder gesünder und kräftiger zu werden, also eigentlich kein “Nichts tun” ist, sondern im Gegenteil sogar eine sehr anstrengende, teils schmerzhafte Tätigkeit. Niemand hat behauptet, dass Heilung nicht auch weh tun kann.

Aber erstens sieht man dieses Tun nicht und rein wirtschaftlich ist es nicht relevant.

Was Morbus Crohn ist und welche Auswirkungen er hat, kann man gut im Internet nachlesen.
Update 06/2020: Wenn du mehr darüber wissen willst: Schau in meinen Blog auf www.LieberHerrCrohn.at. Da findest du auch alle Infos zu meinem 2020 erschienen Buch „Shitstorm im Darm – gut leben trotz Morbus Crohn

Das mühsamste an dieser Erkrankung: Jeder hat eine andere Version und was dem einen hilft, funktioniert bei der anderen gar nicht. Das betrifft sowohl diätische Maßnahmen, als auch medizinische oder alternative Möglichkeiten. Jeder Crohnkranke muss selbst herausfinden, was passt und was nicht. Man braucht viel Geduld und ein gutes Ärzteteam, dass einem am Weg begleitet. Beides ist schwer zu finden.

In meinem Fall habe ich immerhin ein gutes, verständnisvolles Ärztteam. An der Geduld arbeite ich noch, aber es wird langsam.

Crohn verläuft in Schüben. Das bedeutet, dass es Phasen gibt, wo man krank ist und hofft, dass man bald wieder in die Phase kommt, wo die Krankheit schläft. Das nennt man dann Remission und man versucht diesen Zustand so lange als möglich beizubehalten. Manche haben jahrelang Ruhe – was dann bei vielen zu der irrigen Annahme führt geheilt zu sein. Leider, das ist man nicht. Der Crohn schläft nur und wir hoffen, dass er lange, ruhig und tief schläft. Aber weg ist er nicht, man hat ihn bis an sein Lebensende.

Andere haben immer wieder Schübe, kleinere und größere, mit Ruhephasen dazwischen und manche haben einen Dauerschub, kommen nie oder sehr lange nicht in eine Remission. Bei mir war es nun zum zweiten Mal ein Schritt in die Gruppe derer, die einen Dauerschub haben. Davor hatte ich, nach einem sehr schweren Schub vor 10 Jahren, eine lange, ruhige Phase. Eine Erholung, die man erst im Nachhinein so richtig zu schätzen weiß.

Morbus Crohn zählt nach wie vor zu den seltenen Krankheiten. Aber es werden jedes Jahr mehr, was nur in einer Hinsicht gut ist: Wissenschaft und Pharmaindustrie verstärken ihre Forschungen in diesem Bereich und mit jedem Crohn-Kranken werden diese Forschungen intensiver, weil rentabler.

Es ist makaber, dass man als Betroffene irgendwie insgeheim hofft, dass die eigene Erkrankung in naher Zukunft nicht mehr zu den seltenen zählt. Man möge es uns nachsehen. In den langen Phasen, wo man sich in halber Agonie erschöpft, geschwächt und fiebrig in Krämpfen windet, hat man dann solche egoistischen Phantasien und so seltsame Hoffnungen.

Neben den medizinischen gibt es aber noch eine ganze Reihe anderer Nebenwirkungen, die man mit einer chronischen, nicht heilbaren Erkrankung mitgeliefert bekommt. Und die sind unabhängig davon, ob die Krankheit selten oder häufig ist oder um welche Erkrankung es sich überhaupt handelt. Es sind soziale, soziologische, bürokratische, finanzielle, wirtschaftliche, sozialversicherungstechnische Nebenwirkungen, die ungeachtet der Tatsache, dass man sich körperlich gerade eine heftige Schlacht liefert, zu unzähligen Nebenkriegsplätzen führen und genauso weh tun, wie die anderen Symptome, die von der Krankheit selbst ausgelöst werden.

Um es kurz zusammen zu fassen: Unsere Gesellschaft ist nicht darauf eingerichtet, dass man dauerhaft oder lange krank ist.

Ein Begriff, den ich in diesem Zusammenhang vor kurzem gelernt habe, ist: Koma des sozialen Umfelds. So hat es eine PVA-Ärztin bezeichnet und es könnte treffender nicht sein.
Koma, das ist etwas, was man nicht wirklich aktiv selbst herbeiführt, aber man kann sich auch nicht dagegen wehren – es passiert und wenn es passiert, dann muss man damit leben. Eine Schuldfrage zu klären macht wenig Sinn, für niemanden.

Krankheit macht anderen Angst, lange Krankheit macht viel Angst und fördert die Hilflosigkeit und je länger die Krankheit, desto weiter reicht die Inkubationszone, desto unfassbarer wird der Umgang damit. Der herzliche, ehrlich gemeinte Satz “Melde dich, wenn es dir besser geht!” bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn die Zeit vergeht und es einem nicht besser geht, man sich nicht melden kann.

Eine Antwort auf die by-the-way-Frage “Und wie geht es dir so?” ehrlich zu beantworten kann eine Stampede auslösen – die mitmenschliche Savanne ist plötzlich menschenleer. Dann nämlich, wenn man zu ehrlich sagt, dass es einem nicht gut geht und warum. Ich hab´s probiert, es kommt nicht gut an.

Interessant ist auch, dass “man” allgemein annimmt, dass die Familie im Fall einer Erkrankung zuverlässig einspringt und eine sofortige, hilfreiche Auffangstation einrichtet. Ich habe ehrlich Glück, bei meiner Familie war und ist es so. Und ich bin unendlich dankbar, dass ich zum einen eine Familie habe und zum anderen, dass sie so ist, wie sie ist. Aber das ist ein Wunder und auch bei uns hat es Zeit gebraucht und viel gegenseitiges Lernen, Verstehen, Wollen – auf allen Seiten. Denn die Fähigkeit, eine kranke, teilweise bettlägrige, dadurch oft auch griesgrämige Person zu pflegen, mit deren körperlichen und seelischen Bedürfnissen zurecht zu kommen, wird nicht mit dem Erwerb eines Verwandschaftsgrades mitgeliefert.

Man muss es mühsam lernen und oft muss man als Erkrankte den anderen, den gesunden Mitmenschen, klar und deutlich Hilfestellung geben, sie coachen und ihnen sagen was und wie sie tun sollen. Ihnen auch klar machen, warum man so ist, wie man grad drauf ist – man wird als chronisch Kranker zum Pflegeausbilder und der Job macht selten Spaß, speziell dann nicht, wenn man eigentlich gerade genug mit sich selbst zu tun hätte. Überleben zum Beispiel.

Neben Arztbesuchen, Spitalsaufenthalten (ich hab´s letztes Jahr auf 6 stationäre, teils längere Aufenthalte gebracht und zusätzlich zu einer vierwöchigen Reha), unzähligen Ambulanzbesuchen (dauern immer einen Tag), Therapien … bekommt man auch bürokratische Arbeiten zu erledigen, denn das Kranksein ist streng geregelt. Da sind Formulare auszufüllen, Anträge abzugeben, Bescheinigungen einzureichen und wieder zu holen, Kontrolluntersuchungen zu machen … es gibt immer was zu tun … und das ganze in einem Zustand, wo man laut Arzt daheim bleiben und Ruhe geben, auf jeden Fall aber Stress und Menschenansammlungen vermeiden soll.

Wenn man das alles zusammenfasst, dann werden zwei Dinge klar: Als Kranker liegt man nicht die ganze Zeit daheim auf der Couch, mit guten Büchern, Cocktails und Rundum-All-inklusive-Service bei vollen Bezügen. Man hat im Gegenteil dauernd irgendwelche verordneten oder angeordneten Rennereien zu erledigen und den Rest der Zeit versucht man das, was einem der Arzt immer wieder dringend empfiehlt: Ruhe geben und dem Gesundwerden die Zeit zu geben, die es einfach braucht. Die Therapie wirken lassen, Geduld haben, kleine Erfolge feiern, ohne dadurch große zu verschreien. Es ist mühsam.

Und was war nun in Japan?

Im November 2014 war ich spontan, plötzlich und wirklich überraschend in Japan – weil ich Morbus Crohn habe.

Im Sommer wurden meine damalige gastroenterologische Äztin und ich gefragt, ob wir anlässlich einer Tagung in Wien Einblicke in das Leben mit Morbus Crohn geben wollen. Wie es als Patient ist, die Begleitumstände, wie man damit lebt … und wie es für eine Ärztin ist, die sich darauf spezialisiert hat, worauf es abseits der medizinischen Fakten zu achten gilt.

Wir haben spontan zugesagt und die Session im Oktober gut über die Bühne gebracht – auf englisch, denn das Publikum war international.

Der interviewartige, gemeinsame Vortrag fand großen Anklang, was meine Ärztin und mich doch auch überrascht hat. Was wir da erzählt haben, war ja für uns Alltag, nichts Besonderes, man lebt damit und hat gelernt mit den Dingen umzugehen. Doch was für uns Alltag ist, war für die Menschen, die uns zugehört haben, neu – der Einblick in das Leben mit dieser speziellen chronischen Erkrankung, von der man zwar die medizinischen Fakten kennt, aber kaum einer denkt dabei an das Umfeld der Menschen, die davon betroffen sind. Man hat normalerweise kein Bild und, um es geraderaus zu sagen,: Crohn ist absolut nicht sexy. Das ist keine Erkrankung die sich für den Smalltalk beim Buffet eignet. Es gibt keine Lobby, keine Benefizveranstaltungen, keine rosa Schleifen und kaum Promis, die sich mutig dazu bekennen, Crohn zu haben.

Leider, denn ein wenig mehr “Awareness” wäre gut. Immerhin ist unser Darm der Motor unseres Lebens und es gibt keine Ersatzteile. Man hat nur einen und der sorgt dafür, dass alles am Laufen ist. Beginnt der Motor zu stottern, gerät das gesamte Gefüge außer Takt. Man kann heutzutage das Herz, die Leber, die Nieren und vieles mehr transplantieren. Aber keinen Darm. Jedes Teil, dass entzündet oder chirurgisch entfernt wird, fehlt schmerzhaft, unersetzbar. Denn nicht der Magen macht die Verdauung, sondern der Darm versorgt uns mit allem, was wir zum Leben brauchen, mit jedem Zentimeter. Insofern wäre es wirklich wünschenswert, wenn man diesem wunderbaren, kostbaren Motor unseres Lebens endlich die Anerkennung und Wertschätzung zuteil werden ließe, die er sich schon lange verdient. Er ist nicht igitt, er ist ein Wunderwerk, der uns Leben ermöglicht.

Ein paar Wochen nach dem Vortrag in Wien kam eine Anfrage, ob wir diesen noch mal halten wollen – in Osaka, in Japan. Das war dann wirklich eine Überraschung und sowohl meine Ärztin als auch ich waren sehr baff (ich = sprachlos, ja, das gibt es ;). Für meine wunderbare Ärztin war leider schnell klar, dass sie es zeitlich nicht schafft, aber sowohl sie, als auch meine anderen “Mediziner”, die gesamte Familie und ein paar tapfere, verbliebene Freunde haben mir zugeredet, es zu probieren.

Ich war dennoch skeptisch und sehr im Grübeln. Immerhin war ich mitten in einem Schub. Zwar gerade auf einem leichten Wellenberg, es ging kurzfristig ein wenig besser. Aber Reisen ist Stress, Jetlag nicht unbedingt gesund und ich bin absolut nicht der Weltreise-Typ. Intensive Gespräche mit Äztin, Hausarzt, TCM-Ärztin folgten und ich erhielt von allen wunderbare Unterstützung – “Wenn Sie es sich zutrauen, dann machen Sie es!

Und dann hab ich´s getan.

IMG_4267Bin nach Japan geflogen, eine knappe Woche, und ich habe keine Stunde davon bereut. Mein Crohn war kooperativ, die Japaner unfassbar freundlich, hilfsbereit und sehr zuvorkommend. Der Aufenthalt war wunderbar durchorganisiert, ich musste mich um nichts kümmern – nur da sein und meinen Mund immer wieder schließen, der vor Staunen über diese doch sehr andere Kultur immer wieder aufklappte.

Den Vortrag habe ich dann gemeinsam mit einem “Crohn-Kollegen” aus den USA gehalten. Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis und das schönste war, dass alle, wirklich alle zugehört haben. Trotz Tagungsstress und dichtem Programm. Für ein paar Minuten waren alle im Saal still und hörten stumm zu, als zwei aus verschiedenen Kontinenten davon erzählten, wie das so ist, wenn man mit Crohn lebt. Mein amerikanischer Kollege Dan und ich waren schwer beeindruckt und gleichermaßen erstaunt – unser normaler Alltag, für so viele von Interesse? Wow.

Beim Essen haben wir dann darüber philosophiert wie verrückt diese Welt doch ist – wir waren beide nur aus einem einzigen Grund in Japan: weil wir Morbus Crohn haben. Hätten wir keinen, dann wären wir nicht hier. Beide waren wir dennoch unisono der Meinung, dass ein Leben ohne Crohn einem Crohn mit Japan vorzuziehen ist.

Mir ist bei diesen Vorträgen und der daraus entstanden, teils intensiven Korrespondenz klar geworden, dass der Alltag chronisch Kranker für Gesunde ein Mysterium ist. Dadurch, dass Kranke im System als solches nicht wirklich vorgesehen sind, sie im Bedarfsfall in Spitälern landen oder eben daheim liegen, sind sie nicht präsent. Und was nicht da ist, existiert nicht. Man kann aber so auch nicht lernen, diese Menschen – uns – zu verstehen. Für viele kommt hinzu, dass man sich nicht vorstellen will, dass es einem selbst mal treffen könnte. Ist es dann soweit, dann fällt man nicht nur in ein medizinisches Tief, sondern stürzt auch sozial und psychologisch erstmal ab. Nichts bereitet einen darauf vor. Weder auf die körperlichen Probleme, noch auf die Veränderungen im Alltag, im Umfeld oder auf die Reaktion der Mitmenschen.

Aber es braucht dieses Wissen, es braucht das Verstehen – wir brauchen es, für unsere Gesellschaft als Ganzes. Das klingt wahnsinnig hochtrabend, ich weiß. Doch es gibt immer mehr Menschen, die auf Grund chronischer Erkrankungen nicht den erforderlichen wirtschaftlichen 100% Maßstäben entsprechen. Soll man die alle wegbeamen?

Abgesehen davon braucht es diese sogenannte “Awareness” – für Politik, Wissenschaft, gesellschaftliche Kriterien, für einen Paradigmenwechsel. Es braucht die Wahrnehmung dessen, was als Tatsache schon lange da ist.

Eine Krankheit, die lang andauert, wurde und wird nach wie vor als Stigma gesehen. Das war in früheren Zeiten so, als man damit noch ein volles Sündenregister verband. Das ist in heutiger Zeit so, wo die Sünde darin besteht, dass “die” der Gesellschaft zur Last fallen.

Rein wirtschaftlich stimmt das auch. Wir sind eine massive Belastung für das Gesundheitssystem.

Aber Hand aufs Herz: Wer von uns ist 100% gesund? Und wer bleibt es für den Rest seines Lebens? Das Kranke in unserer Gesellschaft sind nicht die Kranken, Alten, Pflegefälle. Sondern der Umgang mit ihnen und die kollektive Scham, die sowohl kranke als auch gesunde Menschen empfinden, weil die einen den anderen zur Last fallen und die anderen nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen, wenn ihre Emotionen mit der vorhandenen Realität nicht fertig werden.

Morbus Crohn ist eine Erkrankung, mit der man mit Glück auch 100 Jahre alt werden kann. Eine der Voraussetzungen dafür: Man muss lernen die Krankheit zu akzeptieren, die eigenen Bedürfnisse zu respektieren und Grenzüberschreitungen von anderen nicht zu tolerieren. Mein Crohn, mein Körper, meine Selbstbestimmung – ich bestimme die Therapie, die Diät und wie ich damit lebe. Das kann kein anderer, das wissen auch die Ärzte, die sich damit beschäftigen. Der Patient muss bei dieser Erkrankung voll dabei sein und der Behandlung zustimmen, sie verstehen und akzeptieren. Anders funktioniert es nicht, egal um welche Therapie es sich handelt. Crohn-Patienten sind kompliziert und ein Arzt-Patienten-Gespräch ist nicht in 3 Minuten erledigt.

Es braucht Selbstbewusstsein, wenn man in dieser Form mit seiner Erkrankung umgehen lernen soll. Aber wie soll man selbstbewusst sein, wenn die Gesellschaft die Existenz chronisch Kranker konsequent ausblendet?

Darüber reden hilft, sich mitteilen hilft auch. Und man macht sich unbeliebt dabei, aber auch das hilft mitunter. Zumindest bereinigt es die Umgebung und sorgt für Klarheit.

Es geht nicht nur darum, dass man ein Heilmittel findet, dass eine unheilbare in eine geheilte Erkrankung umwandelt. Es geht auch darum, dass man versteht, warum es abgesehen vom medizinischen Standpunkt aus wichtig ist, dieses Heilmittel zu finden – weil man damit dem Menschen auch abseits seiner Krankheitssymptome wieder ein Teilhaben am normalen Leben ermöglicht.

Und bis man dieses Mittel findet, helfen Toleranz und Akzeptanz. Man muss verstehen lernen, wie dieses Leben neben der Spur abläuft. Neben den Blutwerten sind auch innere Werte, Wünsche und Träume wichtig. Neben den medizinischen Auswirkungen gibt es noch andere Faktoren, die unvorhersehbare Nebenwirkungen auslösen. Neben dem grundlegenden Versorgen mit lebenswichtigen Dingen braucht ein Kranker auch das Gefühl, vorhanden und integriert zu sein – wahrgenommen und geliebt zu werden.

Krank sein bedeutet nicht, dass man all seiner vorherigen Fähigkeiten beraubt wurde. Da ist noch immer der gleiche Mensch wie vorher drin, in diesem Kranken. Mit seinem Humor, seinem Grant, seinen Spleens, seinem angesammelten Wissen, seinen Hoffnungen. Manches hat sich vielleicht verändert, aber der Kern ist geblieben.

Für das Publikum in Japan, das Dan und mir so aufmerksam zugehört hat, war es dieses Erkennen, dass wir Menschen wie sie sind, mit Hoffnungen, Wünschen, normalen und besonderen Problemen, was meiner Meinung nach für ein Verstehen gesorgt hat. Der Crohn hat für sie mit uns ein Gesicht bekommen, wurde begreifbarer und damit wurde auch klar, dass sich eine chronische Erkrankung nicht abstrakt auf den Kranken und seinen Körper beschränkt. Es betrifft die gesamte Umwelt, das soziale Gefüge, die Psyche, die Familien natürlich besonders, aber auch die Freunde, Bekannte, die Arbeit, die Kunden, die Wirtschaft … bis hin zu den Nachbarn und den Haustieren.

Eine chronische Erkrankung betrifft das gesamte System und das sind Nebenwirkungen, die man mit keinem Medikament behandeln kann. Nur mit Wissen, Lernen und viel Verständnis.

Ist das ein Outing?

Nein, denn ich habe nie ein Geheimnis um meine Erkrankung gemacht. Ich hab es zwar nicht als Button auf meiner Jacke publiziert oder einen großen Banner auf der Website installiert. Auch in den vielgerühmten sozialen Netzwerken habe ich es nicht breitgetreten, aber auch nicht verheimlicht. Ich bin auf meine Art damit umgegangen.

Ich habe Morbus Crohn und den werde ich in diesem Leben nicht mehr los. Es ist kein Geheimnis, aber auch nichts, was man besonders hervorheben soll – dachte ich bisher. Vielleicht hilft es aber anderen und auch mir, wenn ich es einfach ein wenig lauter sage und intensiver darüber rede. Wie das so ist, wenn man damit leben muss und was man damit so erlebt (schräge Dinge, ich sag´s euch, echt schräg …), wenn man mit anderen lebt. Auch wenn das vielleicht unangenehm ist, für manche andere. Auch wenn manche sich vielleicht am Igitt stören oder dann und wann eine Aussage in die falsche Kehle bekommen. Vielleicht sind es andere Andere, die sich davon inspirieren lassen, Kraft schöpfen, darüber lachen können und dann war´s das wert.

Ich habe in Japan gelernt, dass man auch Positives mit und durch diese Erkrankung erleben kann und dass man anderen Mut machen kann – und soll – auch wenn man gerade selber keinen hat. Ich finde, dafür kann ich ruhig ein wenig unangenehm sein.

Ich habe Morbus Crohn. Man stirbt nicht daran. Man lebt nur weniger. Aber in den Pausen dafür intensiver. Und irgendwann wird es daher auch wieder Kraftplatz-Wanderungen und Natur-Workshops geben.

 

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