Geomantie
Die Geomantie erlebt aktuell so etwas wie ein Revival. Auf Social Media finden sich immer mehr entsprechende Veranstaltungen, wo man dieses „Handwerk“ lernen kann. Dabei müsste man genau genommen vorweg erst mal klären, was die VeranstalterInnen darunter verstehen. Denn der Begriff Geomantie hat in den letzten hundert Jahren eine große Umdeutung erfahren.
Auf Wikipedia findet sich diese Erklärung:
„Geomantie oder Geomantik (lateinisch Geomantia, von altgriechisch γῆ ɡɛː, deutsch ‚Erde‘ und μαντεία manteía, deutsch ‚Weissagung‘, also in etwa ‚Weissagung aus der Erde‘) ist eine Form des Hellsehens, bei der Markierungen und Muster in der Erde oder in Sand, Steinen und im Boden zum Einsatz kommen.[1] Man nimmt das arabische Nordafrika als Ursprungsort an. Im 12. Jahrhundert gelangte die Geomantie durch lateinische Übersetzungen arabischer Werke nach Europa und wurde in der Zeit der Renaissance zu einer beliebten Methode der Wahrsagung. Heute ist die Geomantie im ursprünglichen Sinn in Europa fast[2] verschwunden. Der Begriff wird heute für andere Methoden verwandt, zum Beispiel in Zusammenhang mit den sogenannten Ley-Linien, die eher dem chinesischen Feng Shui ähneln“
Es geht also um eine, vermutlich arabische oder afrikanische, ehemalige Methode der Wahrsagung mittels Mustern am Boden, aus der heraus sich eine Praxis entwickelt hat, die man, mangels ortsansäßiger Begriffe mit „so ähnlich wie Feng Shui“ bezeichnet. Das ist eine Deutung. Bei anderen wird der Inhalt des mit „Geomantie“ bezeichneten Handelns in einen Topf mit der Radiästhesie geworfen, oft sogar synonym verwendet. Das ist eine andere Deutung.
Fakt ist: Was wir heute im Raum Europa als Geomantie bezeichnen, ist ein uraltes Wissen, wo es um ein In-Kontakt-Kommen mit der Natur und Landschaft rund um uns und das bewusste Wahrnehmen der uns umgebenden Energien geht, bis hin zum gezielten Agieren auf das, was wir intuitiv wahrnehmen und wissen.
Bei der Geomantie, wie wir sie verstehen, geht es um die bewusste und intuitive Kommunikation mit dem Ort und den Energien (Qualitäten) an diesem Ort. Dabei gehen wir je nach Verfassung Resonanz, spüren uns hinein und hinterfragen gleichzeitig, was durch diesen Kontakt ausgelöst wird. Wir sind ein Teil des Systems und kommunizieren mit diesem System – jeder Baum, jede Pflanze, ja auch die Steine, der Boden unter unseren Füßen … all das hat eine eigene Schwingung, eine Ausstrahlung, die man als Qualität zusammenfasst. Aus diesen Komponenten ergibt sich das, was man als Genius Loci bezeichnet – der Geist des Ortes.
In diesem Sinne hat Geomantie auch schamanische Grundzüge. Denn im animistisch-schamanischen Weltbild gilt alles als belebt, alles hat eine Art Seele, mit der man in Kontakt treten kann.
Der Kreis zum ehemaligen geomantischen Grundbegriff, der Wahrsagekunst, schließt sich insofern, als es in diesem systemischen Grundansatz auch die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen und darauf Antworten zu bekommen. Nicht in dem Sinn, dass der Baum, an den man sich gelehnt hat, den Mund aufmacht und zu uns spricht. Sondern so, dass wir über unser Unterbewusstsein, über unsere sinnliche und aussersinnliche Wahrnehmung, Empfindungen spüren, die man durchaus als Antwort interpretieren kann.
Wer zum Beispiel bei einem Naturgang mit einer inneren Frage „geht“ und sich dem öffnet, was auf diesem Weg liegt, alles und jede „Begegnung“ als einen Hinweis mitnimmt, wertfrei, bekommt eine andere Sichtweise auf die Ausgangsfrage und erfährt so mitunter eine hilfreiche Antwort.
Eine andere Möglichkeit ist das „Eintauchen“ in einen Ort. Vorweg steht dabei immer die stille Bitte um „Einlass“, also eine Art geistiges Anklopfen, mit der Bitte „eintreten“ zu dürfen. Das klingt auf den ersten Blick schräg, hat aber auch etwas damit zu tun, dass sich die eigene Haltung verändert, wenn wir uns einem Platz auf diese Weise wertschätzend nähern. Wir werden achtsamer, respektvoll, geben dem Ort unbewusst Raum und damit auch unserem eigenen Sein. Wir akzeptieren die Tatsache, dass hier mehr ist, als „nur“ Pflanzen und tote Dinge. Wir schenken Aufmerksamkeit und werden mit einem Willkommen belohnt, womit eine austauschende Kommunikation beginnen kann. Man braucht dazu nicht mal eine Frage, nur das stille in sich Hineinspüren und wahrnehmen, wie es dir in diesem Moment, hier und heute, geht. Was fühlst du? Wie fühlst du dich? Wie schmeckt der Ort, wie riecht es hier, wo zieht es dich hin? Tauchen Erinnerungen auf oder Emotionen?
Je geübter man hierbei ist, desto größer wird die Bandbreite der Wahrnehmung und irgendwann hat man dann den Sprung geschafft, vom Ich zum „Du“ – wo man beginnt wahrzunehmen, wie es dem Ort geht, ob es hier etwas (und was) braucht, ob etwas gewünscht wird und was manev. tun kann für den Platz.
Die Geomantie, wie wir sie hier verstehen, ist eine uralte Methode, die auf einem Weltbild basiert, wo nicht der Mensch die Krone der Schöpfung ist, sondern Teil in einem lebendigen, riesigen, pulsierenden System – wir sind ein kleiner, wichtiger Teil im großen Ganzen namens Mutter Erde. Das ist durchaus mit viel Demut verbunden und gleichzeitig beginnt damit auch ein Verständnis, dass wir als Teil dieses Systems eine Aufgabe haben und immer in Verbindung mit allem stehen, es nur eben nicht immer wahrnehmen (können oder wollen).
Geomantie ist Rückbesinnung auf das Dasein, wie es ursprünglich wahrgenommen wurde. Und damit sind auch Weissagungen möglich – in dem man die Zeichen und stillen Botschaften rundum wahrnimmt, sich auf das einlässt, was unter der Oberfläche liegt, was in einem selbst darauf wartet wahrgenommen zu werden und so Wahrheiten erkennt, aus denen die ursprüngliche Form des „weisen Sagens“, des wahr besteht. Damit schließen wir an an das alte geomantische System, wo man die Sprache der Erde durch eigene Zeichen entschlüsselt und errechnet hat.
Die heutige Geomantie baut auf Intuition, Wahrnehmung, Achtsamkeit und Respekt dem großen Ganzen gegenüber.
Was sind Geomantien?
Der Verwirrung nicht genug, gibt es neben „DER Geomantie“ auch noch DIE Geomantien.
Darunter versteht man einen radiästhetischen Fachausdruck, mit dem man bestimmte Strukturen (Zonen, Strahlen, Erscheinungen im weitesten Sinne) bezeichnet, die Orte gleicher Schwingung miteinander verbinden. Sie sind so etwas wie die kleinen „Schwestern“ der Ley-Lines, die ebenfalls Orte gleicher Schwingung miteinander verbinden. Nur sind Ley-Lines sehr viel weiträumiger, ziehen sich fallweise über mehrere Länder oder gar Kontinente. Geomantien sind kleinräumig, oft nur ein paar Kilometer lang.
Beide, Ley-Lines und Geomantien, sind von Menschen „gemacht“, vermutlich durch (meist unterirdische) Steinsetzungen. Manche gibt es seit der Steinzeit, andere sind aus dem Mittelalter. Danach ist das Wissen um deren Gestaltung und den Bau abhanden gekommen.