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Die Stille in mir

Ein Spaziergang vor ein paar Tagen, die normale Hunderunde nach dem Mittagessen. Der Weg ist wie immer, das Wetter durchschnittlich, Winter eben. Schneelos, dafür mit Matsch, Nebel und tiefen Wolken. Lediglich auf den höher gelegenen Feldern und Wiesen liegt etwas Schnee. Gerade soviel, dass es einerseits nett aussieht und andererseits vor dem Matsch warnt, den man dort zu erwarten hat.

Über mir fliegt ein Kolkrabe. Ich habe ihn schon gehört, lange bevor ich ihn gesehen habe. Sein markantes Rufen aus dem Tal unten ist eindeutig. Aus einer Laune heraus wiederhole ich seinen Ruf, als er direkt über mir fliegt. Er blickt nach unten, leicht irritiert und krächzt eine leise Replik. Ich möchte mir einbilden, dass es ein Gruß ist. Aber da kann man sich auch täuschen.

Mein Schnürsenkel hat sich geöffnet. Ich knie mich hin, um ihn wieder zu binden. Beim Aufstehen überrascht sie mich, urplötzlich. Die Stille ist da. Nicht im Außen, sie ist in mir. Sie ist einfach da, ohne Erschrecken, ohne Brimborium. Ein überraschend tiefes, sattes und zugleich unglaublich leichtes Gefühl, das sich wie eine weiße Wattelicht-Kugel in  mir ausbreitet.

Nichts zu tun, außer hier zu sein. Niemand zu treffen, außer mich. Nichts zu sagen, weil allein. Nichts zu denken, nichts zu beachten, nichts zu planen …

Ich bin auf einer Waldlichtung. Die Stille ist da. Als sanfter, leichter Watteball legt sie sich von Innen nach Außen um mein Herz, nimmt Last von den Schultern und erinnert meine Füße, dass der Boden sich einfach herrlich anfühlt, wenn ich nichts anderes tue als darauf zu stehen. Stille in mir. Soviel mehr als Frieden, soviel mehr als Ruhe. Kein Innehalten, das sich nur auf einen Augenblick bezieht. Mehr ein Inne-Sein, still, bewusst unbewusst, unachtsam und zugleich achtsam.

Ob der Kolkrabe sie wachgerufen hat? Oder war sie schon länger da, hat nur darauf gewartet, dass mein Kopf eine Denkpause macht und ich der Erde näher bin? Es ist egal, denn es ist einfach nur gut, dass sie da ist. Ohne es zu wissen, warte ich seit langem auf sie. Ohne sie zu suchen, habe ich sie gefunden. Hat sie mich gefunden. Hat mich in ihre Arme genommen und lässt mich still werden.

Die Füße machen sich von selbst auf den Weg, nehmen mich mit, als würden sie mich an die Hand nehmen und leiten. Lenken mich Richtung nach Hause. Die Hundemadame läuft zufrieden und entspannt neben mir, vor mir, hinter mir. Sie schnüffelt und erkundet die Nachrichten, die ihr die Welt hinterlassen haben. Ich wandere in meiner Stille, wie in einem satten, sanften Traum. Höre von weitem den Kolkraben rufen, höre die Autos am Weg durch den Ort. Höre andere Hunde bellen, ein Flugzeug über mir, den Zug im Tal unten. Immer ein Zeichen für schlechtes Wetter. Die Stille in mir lässt die Laute durch, sie prallen nirgends ab, verheddern sich nicht, finden keinen Widerhall. Sie klingen einfach durch mich hindurch.

Stille in mir … so schön, so kostbar, so nährend. Vielleicht ist das dieses „Advent-Gefühl“? Vielleicht bin ich versehentlich in einen Überrest dieses alten Gefühls gestolpert, dass da seit ewigen Zeiten liegt, verloren und vergessen?

Zu Hause angekommen hat sie sich wieder ein wenig zurück gezogen, macht Platz für das, was sich nicht aufschieben lässt. Aber sie hält dem Alltag stand, sie ist gekommen um eine Weile zu bleiben.

Vor ein paar Tagen habe ich noch mein fehlendes „Weihnachtsgefühl“ bekrittelt. Da war einfach keine Stimmung für Zimt und Tannenzweige, kein Bock auf Vanille und Lametta. Ich war müde und genervt von allem und jedem, am meisten mir selbst gegenüber, wegen der vielen Dingens, die ich noch uuuunbedingt tun muss, sollte, möchte … wissend, dass ich einfach nur Ruhe haben wollte, um mich von einem unglaublich anstrengenden Jahr zu erholen.

Die Stille kam, als ich nicht darauf gewartet habe. Sie hat ihr Erscheinen selbst gewählt, hat sich mir geschenkt. Kein Weihnachtsgefühl wie früher. Aber das ist ok. Diese Stille ist tiefer, sanfter und bedeutungsvoller – ein sattes in Mich sinken und ruhig werden.

Ich bin noch immer müde, aber das ist auch ok. Die Nerven haben sich still beruhigt. Die ultrawichtigen, megabedeutenden Dinge sind zum Lametta in die Kiste geflüchtet und schmollen vor sich hin. Die Couch ist mein bester Freund in den kommenden Tagen. Das stille Starren ins „Narrenkastel“ ersetzt den Bildschirm. Roter Hibiskustee, das Geschenk einer Bekannten, rundet die Stille ab. Am Stövchen schmurgelt ein ganz besonderer Weihrauch, die Hundemadame schnarcht leise in ihrem Körbchen.

Es wird dunkel, die Wolken sinken wieder tiefer.

Die Stille in mir hält mich in ihren Armen und wiegt mich hin und her. Vielleicht habe ich ein neues Weihnachtsgefühl gefunden. Ich hoffe, es bleibt noch einige Zeit. Denn da ist noch einiges, was still werden darf, was still sein darf.

Stille in mir. Danke.

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