Wintersonnenwende & Weihnachten: die Jahreskreisenergie
Im zweiten Teil der vierteiligen Serie zum Jahreskreisfest der Wintersonnenwende bzw. rund um Weihnachten, geht es um die besondere Energie dieser Jahreszeit und welche Herausforderungen sich daraus ergeben. Alle Teile der Serie sind hier zu finden: Wintersonnenwende & Weihnachten
Die Sonnenwenden bilden eine Hauptachse im Jahreskreis und mit den beiden Tag- und Nachtgleichen entsteht ein gleichschenkeliges, vollkommen ausgewogenes Kreuz. Die hohe Bedeutung der Wintersonnenwende liegt vor allem darin, dass sich die Menschen in dieser Jahreszeit der Dunkelheit ausgeliefert fühl(t)en. Dazu kam die ewige Angst, dass die Sonne nicht mehr zurückkehren würde. Zu wissen, dass der Tiefpunkt der Dunkelheit gekommen war und es ab nun wieder „aufwärts“ geht, war ein großer Trost.
Auch wenn der Verstand weiß, dass es ein ewiger Zyklus und Kreislauf ist: Die dunkle Jahreszeit setzt nicht nur unseren Emotionen zu, sie sorgt auch dafür, dass Rationalität wenig Gewicht bekommt. Ein paar nebelige, dunkle Tage hintereinander und man glaubt, dass man auf ewig in Nebel und Finsternis hängen bleibt.
Fordert die Sommersonnenwende einen auf sich der Kraft im Außen zu stellen, mit viel Licht, Tänzen und voll in der hohen Energie des Reifens, bringt einen die Wintersonnenwende gnadenlos in Kontakt mit dem eigenen Schatten, den tiefsten Punkten und dem, was man gerne in einer Schublade tief im Keller wegsperren möchte.
Nieder mit der Dunkelheit! Aber warum eigentlich?
Es ist nebelig, es ist duster, es wird viel zu früh finster und viel zu spät hell und überhaupt ist alles bäh und igitt, weil nass und kalt und sowieso.
Würde es einen Jammerindex geben, wäre der im Dezember besonders hoch. Die Dunkelheit ist da und gefühlt glaubt man, sie geht niemals wieder weg. Hinzu kommt das Wetter: entweder kriecht einem der Nebel in Gemüt und Knochen oder die Kälte lässt einen in selbigen frieren oder es ist vieeeel zu warm für die Jahreszeit und das ist auch niemandem recht. Das Wetter hat es nicht leicht in unseren Breiten und die intensive Klimaveränderung macht es nicht besser.
Einfacher wäre es, wenn man sich gleich mit Anfang November in den Winterschlaf begeben könnte und bis Februar durchpennt. Aber leider: Wir haben uns evolutionstechnisch für einen anderen Weg entschieden und darum müssen wir da durch. Wie schon unsere Vorfahren, deren Ahnen und deren Vorfahren davor.
Womit bewiesen ist: Der Mensch kann das schaffen – weil das tun wir ja jedes Jahr. Wenn auch zu modernen Zeiten in einem Setting, dass der natürlichen Vernunft zuwider läuft. Aus dem Mitte des 19. Jahrhunderts installieren Familienfest zur Weihnachtszeit (siehe Teil 1: Geschichte & Ursprung), ist ein Konsumhype geworden. Seit Mitte des 20 Jahrhunderts ist die Zeit rund um die Wintersonnenwende die wirtschaftlich intensivste und damit haben wir den Stress gepachtet – zu einer Zeit, die auch ohne dieser Komponente schon sehr fordernd ist.
Die dunkle Jahreszeit lädt nicht ein, nach Innen zu schauen und zur Ruhe zu kommen. Sie fordert es vehement ein, sie zwingt einen dazu und wer sich dem entgegenstellt, muss damit klar kommen, dass er gegen einen Strom schwimmt, der zusätzlich mit Eisschollen beladen ist, was um ein Vielfaches mehr an Kraft fordert.
Warum hassen wir die Dunkelheit so sehr?
Woher kommt diese Angst vor der Stille?
Wann haben wir uns von uns so weit entfernt, dass wir es nicht mehr ertragen, mit uns in die Ruhe zu gehen, sich dem Innen zu stellen, um Kraft aus diesem Kontakt zu schöpfen?
Das Licht wird aus der Dunkelheit heraus geboren, Bewegung entsteht aus der Ruhe heraus, der neue Atem fließt erst wieder in einen hinein, wenn man den alten Atem losgelassen hat – ein klarer, logischer Zyklus. Dennoch wird das Lichtkind mehr verehrt, als die Mutter, die es hervorgebracht hat. Wir verfluchen die Finsternis, tradieren sie als böse, sündig, schmerzhaft, dumm und kämpfen mit allen Mitteln der modernen Zeit gegen sie an.
Die Sonne ist wichtig und wertvoll, ohne sie gibt es kein Leben. Aber wer die Dunkelheit nicht ehrt, der hat auch das Licht nicht verdient. Wir brauchen beides, den Tag genauso wie die Nacht, den Schatten ebenso wie den hellen Sonnenschein. Das man in unzähligen Bräuchen in der längsten Nacht des Jahres die Geburt des Lichtes feiert – Weihnachten, die Geburt Jesu Christi, die man auf dieses Datum gesetzt hat, ist nichts anderes – lässt einen leicht vergesse, dass zu einer Geburt mindestens zwei dazugehören: Das Kind UND die Mutter. Wenn man ganz genau sein will, und sich nicht auf einen Engel verlassen möchte, dann braucht man auch einen Vater, damit es was wird.
Der Same wird in die Dunkelheit gesetzt. Alles was geboren wird, beginnt innen zu keimen, aus dem Zentrum heraus zu wachsen. Doch zuvor braucht es den Traum, die Idee, die Vision, das Gefühl, die gemeinsam das Bett für das bereitet, was kommen will und soll. Es braucht einen geschützten Ort, an dem der Same weich gebettet werden kann, wo er Geborgenheit erfährt, Kraft sammeln kann, um sich irgendwann, wenn er soweit ist, zu seiner erträumten Größe entfaltet.
Woher kommt diese Abneigung, zu akzeptieren, was naturgemäß zum Leben dazu gehört?
Es ist vermutlich eine Mischung aus der alten, kreatürlichen Angst vor dem dunklen, unbekannten, tiefen Seinszustand, der einem immer ein wenig unheimlich ist, je „aufgeklärter“ wir sind, weil mit der Logik ist es nicht so leicht zu verstehen. Wir leben in einer Wissenschaftszeit, wo man alles beweist, alles beweisen muss und was sich nicht beweisen lässt, existiert schlicht nicht oder ist falsch, dumm, antiquiert, veraltet. Wissenschaft ist die Religion, der einzig gültige Glaube unseres Zeitalters, der alles anderen gnadenlos mit Argumenten aus dem Labor, aus der Studie heraus abwürgt. Was sich nicht mit Wissenschaft erklären lässt, ist Esoterik und der alte Begriff für eine spezielle Form philosophischen „Geheimwissens“ wurde in unserer Zeit zu einem stigmatisierendem Schimpfwort.
Doch die Dunkelheit kümmert sich nicht um diese Modeerscheinungen, die Stille fordert stumm ihren Platz – da helfen auch die vielen Lichterketten, Weihnachtsfeiern, Punschhütten und das ewige jeiernde Gejingle in den Kaufhäusern nichts. Die Dunkelheit ist zäh, die Stille ist geduldig. Sie finden einen Weg und machen sich da breit, wo man beim besten Willen nichts mit ihnen anfangen kann (oder will) und das zu einer Zeit, in der man wehrlos ist. Womit aus der erneuernden Kraft eine verstörende, oft auch zerstörerische Naturgewalt wird. Nicht umsonst haben psychologische Hotlines und Hilfen in der Weihnachtszeit Hochkonjunktur.
Die zweite Komponente im modernen Kampf gegen die Ruhe ist die neuzeitliche Forderung nach einem ewig anhaltenden Aufschwung, einem Dauerwachstum, das keine Ruhepausen kennen darf und wo 100% das Mindeste ist, was man abliefern muss. Dabei wird übersehen, dass nichts ewig wachsen kann, ohne hin und wieder Ruhe zu geben, und auch dann hat alles irgendwann ein natürliches Ende. Nichts lebt ewig, nicht mal die Sonne, nicht mal das Universum. Das wissen alle Pflanzen und auch die Tiere haben es instinktiv verstanden. Der Tod gehört zur Dunkelheit und auch das ist ein Aspekt dieser Jahreskreisenergie. Er lässt sich übrigens genauso wenig vermeiden, wie der Kontakt mit all den Dingen, die wir in unserem Inneren unter den Teppich gekehrt haben oder in die tiefste Schublade verbannt. In der Hoffnung, nie wieder etwas davon zu hören, zu sehen, zu erfahren.
Womit wir uns von der erneuernden, tröstenden und auch heilsamen Kraft abschneiden, die im Aufarbeiten, Loslassen, Dank sagen und Verzeihen liegt. Denn auch das sind Eigenschaften, die in der Dunkelheit verborgen liegen, selbst im Tod, dem dunkelsten Aspekt dieser Zeit.
Jeder Mensch kommt spätestens am Ende seines Lebens mit diesem Aspekt in Kontakt. Eine Sterbekultur gibt es bei uns nicht mehr, der Tod ist heute ein unausprechliches Stigma, mit dem man nichts zu tun haben will, bis es soweit ist, dass man ihm nicht mehr auskommt. Gestorben wird weit weg, das passiert den anderen, damit will man nichts zu tun haben,
Dann erschlägt er einen mit all der aufgestauten, nie akzeptierten, nicht verstehen wollenden, dunklen, mystisch-unheimlichen Wildheit und hinterlässt eine unbeschreibliche Trauer und tiefe Angst vor dieser unbekannten Macht.
Der Schlaf ist ein Gefährte des Todes, denn im Schlafen geben wir die Kontrolle ab und gleiten hinüber in die Traumwelt, wo andere Gesetze gelten, andere Regeln und wir im Chaos dieser unlogischen Welt unser weltliches System rebooten können, während der Körper sich erholt und der Geist Pause macht.
Doch der moderne Mensch will das alles nicht (mehr) wahrhaben und die Ruhezeiten am liebsten ganz ausschalten. Wer schläft, rastet und ruht der kann nicht arbeiten, ist unproduktiv und behindert daher das Wachstum … stimmt das?
Ruhezeiten gelten als unproduktiv für alle, die verlernt haben, tiefer zu blicken und die vergaßen, dass man vor allem in den Pausen lernt, beim sog. „Nichtstun“, wo all das verarbeitet werden kann, was man an Informationen vorweg angesammelt hat. Ohne dieses „Nichtstun“ ist alles, was man davor getan hat, wertloser Plunder. Was sich nicht in der Stille im Inneren verankern kann, bildet keine Wurzeln aus dem Neues wachsen darf.
„Wer schläft, sündigt nicht“ – sagt ein alter Spruch und ich finde, dass er in heutiger Zeit mehr denn je wichtig und wahr ist. Nur wer die Ruhe genießen kann, wer sich das erlaubt, kann Ideen aus Träumen spinnen und erkennt den Funken, wenn das Licht aus der Dunkelheit heraus geboren werden will. Da braucht es dann eine ruhige Hand und keine hektisch überarbeitete, zitternde, damit das zarte Fünkchen im Lauf der Jahresenergie zu einer Flamme und später zu einem nährenden Feuer wandeln kann.
„Mit dem Feuer spielt man nicht„, heißt es auch, und wer es dennoch tut, der läuft Gefahr sein Bett einzunässen – hat man bei uns früher gesagt ;)
Wer heutzutage fahrlässig mit diesem besonderen Feuer spielt, läuft Gefahr durch Un-Achtsamkeit das Gleichgewicht zu verlieren und an eben dieser Flamme zu verbrennen. Burn out nennt man das dann und man bezeichnet es auch als die „Krankheit unserer Zeit“. Warum wohl?
Wer hingegen akzeptiert, dass die Ruhe zur Bewegung gehört, die Dunkelheit erst die Helligkeit ermöglicht und das Ausatmen ein notwendiges Tun fürs Überleben darstellt, der hat eine wichtige, universelle Lektion gelernt und versteht, was sich hinter dem astronomischen Begriff der Wintersonnenwende energetisch verbirgt.
Es ist wie bei einem wahren Liebesakt, aus dem vielleicht ein Kind entspringt. Eine stille, wilde und kraftvolle Intimität, wo man sich aufeinander einlassen kann, um dem Raum zu geben, wofür man viele Worte hat, die dieses Wunder dennoch nur unzureichend beschreiben. Wissenschaft und Religion haben Pause. Dieser Akt ist eine Naturgewalt und braucht keine Analyse.
Sich vertrauensvoll in diese Tiefe zu begeben, sich stumm der Stille auszuliefern, sich darauf einlassen, dass hier etwas die Kontrolle übernimmt, das tiefer, älter und vielleicht um vieles weiser ist, als man es jemals sein wird, ist der uralte Akt des Lebens, der sich in der Stille der Jahresnacht seit Jahrmilliarden immer wieder aufs Neue ergibt.
Wenn du das verstehst, wenn du dazu den Mut findest, wenn du dich in diese Tiefe fallen lässt, wirst du sanft und liebevoll aufgefangen und durch die Jahresnacht getragen – wie das ungeborene Kind in der Gebärmutter, wie der Same in seiner Samenschale, wie die Idee, die sich im Traum verbirgt. Gib der Dunkelheit eine Chance, lass dich von der Stille umweben, lass dich vom Alleinsein willkommen heißen und du wirst feststellen, dass es nie ganz dunkel ist, dass da immer irgendwo ein Geräusch ist, dass du nie ganz und gar alleine bist. Willkommen im Wunder des Lebens.
Alle Teile der Serie über die Wintersonnenwende und Weihnachten:
Teil 1: Wintersonnenwende & Weihnachten: Geschichte & Ursprung
Teil 2: Wintersonnenwende & Weihnachten: Die Jahreskreisenergie
Teil 3: Wintersonnenwende & Weihnachten: Brauchtum & Symbole
Teil 4: Wintersonnenwende & Weihnachten: Rituale allein und in der Gruppe