Bad Aussee: Zwischen Sommerfrische und Ambivalenz
Ich bin am Rande des Steinfelds, in Niederösterreich aufgewachsen. Eine Region, die auch als „Wüste Österreichs“ gilt, wegen der deutlich geringeren Niederschläge im Vergleich zum Rest des Landes. Auf der einen Seite sahen wir den Schneeberg, auf der anderen Seite konnte man sich an manchen Tagen einbilden den Neusiedlersee zu erkennen. Zumindest aber die Hügelkette der Rosalia war gut sichtbar. Vor uns waren Felder bis zum Wald, dann ein sanfter Hügel und im Hintergrund die Silhouette der Berge zwischen Wechsel und Semmering. Im Rücken lagen in der Ferne das Massiv der Hohen Wand und seitlich davon die Fischauer Vorberge. Rundum weitgehend ein freier Blick, nur sacht begrenzt am Horizont begrenzt. Das Thema war eindeutig Weite und der Himmel lag stets gut im Blick.
Seit 25 Jahren leben meine Familie und ich am Fuß der Hohen Wand, auch hier ist das „Blickthema“ Weite. Wenngleich der Berg hier näher ist, als in meiner Kindheit. Dafür bieten die sanften Hügel rundum eine sichtbare und spürbare Begrenzung, die einen archaische Schutz impliziert. Auch hier finden die Augen beim Blick aus dem Fenster stets den Himmel.
Diesen Sommer verbrachte ich wieder einmal drei Wochen auf Reha in Bad Aussee, im Herzen Österreichs, dem „urösterreichischsten“ Fleck Österreichs (wie ein Bekannter es einmal ausdrückte). Trachtenhauptstadt und Tourismusmetropole, umgeben von Bergen.
Hohen, richtig hohen Bergen. Auf allen Seiten.
In der Stadt verbinden sich zudem zwei Flüsse zu einem dritten: Altausseer Traun und Grundlseer Traun, die hier zur „großen“ Traun zusammenwachsen.
Bad Aussee: Eine Kurstadt mit knapp 5000 EinwohnerInnen, im steirischen Salzkammergut, die Hauptstadt des Ausseerlandes. Pulsierend, auf eine sehr eigene, bestimmte Art. Umgeben von haushohen Bergen, Flüssen, urtümlich tiefen Seen und eine gewaltige Geschichte im Hintergrund.
Im Gegenzug dazu ein kleines Dorf am Fuß der Hohen Wand in Niederösterreich: Ruhig gelegen, dennoch gut bekannt bei Wanderern. Ideal zum Klettern und für Ausflüge, aber vor allem ideal zum Leben. Ein Ort, wo man im Sommer noch immer täglich die Kühe auf die Weide bringt. Die große Stadt ist nur einen Katzensprung im Auto entfernt, die ganz große Hauptstadt eine halbe Stunde. Klein, aber daheim.
Bad Aussee ist für mich jedesmal eine Herausforderung, die ich gerne auf die Diskrepanz zwischen dem Ort schiebe, wo ich aufgewachsen bin und herkomme, und dem, was sich hier geografisch anders gestaltet. Aber es ist mehr als das. Es ist eine Ambivalenz, die mich immer wieder neu herausfordert. Ich muss mir den Ort jedesmal buchstäblich neu „erarbeiten“, um mich wohl fühlen zu können und auch innerlich anzukommen.
Man wird als Mensch durch die Region, in der man aufwächst, geprägt. Der Ort der Kindheit trägt auch viel zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Ganz besonders wenn es darum geht, wo man sich räumlich wohl, zuhause und geborgen fühlt. Oder im Gegenzug eben nicht so wohl.
Für Menschen aus der Stadt, mit ihren für mich wiederum anderen, sehr speziellen Herausforderungen, kann das kleine Dorf meiner Kindheit, auf einem sanften Hügel am Rande des Steinfelds, mit endloser Weite in alle Richtungen, eine Herausforderung sein, die weit weg von „wohlfühlen“ angesiedelt ist. Und damit meine ich noch nicht mal die Versorgungslage.
Ich glaube es war in Yuval Noah Hararis „Eine kurze Geschichte der Menschheit„* (sehr lesenswert!) wo ich gelesen habe, dass alle Menschen das Bild der Savanne in sich tragen, dass sie als die Landschaft beschreiben, in der sie sich wohl und geborgen fühlen. Das betrifft auch Menschen, die noch niemals in einer Savanne waren oder ein Bild davon gesehen haben. Es dürfte an einer Art genetischer Erinnerung liegen, die uns an die Landschaft erinnert, in der sich die Menschheit laut heutigem Wissensstand entwickelt hat. Aber vor allem ist es die Weite, in Kombination mit den lichten Wäldern, die Schutz bieten. Man sieht in der Ferne, ob etwas kommt und ist dem dennoch nicht schutzlos ausgeliefert, kann rechtzeitig reagieren. Wieviel intensiver muss dieses Empfinden, diese Sehnsucht für diejenigen sein, die physisch in einer Landschaft aufgewachsen sind, die der Savanne von der Weite her nahe kommt?
Bad Aussee bietet keine Savannenlandschaft. Fünf mächtige, „heilige“ Berge ragen rundum auf. Der Loser, der Sandling, der Sarstein, der Zinken und die Trisselwand kragen mehr als 1000m über dem Ort auf, der selbst auf 659m liegt. Dazwischen liegen ein paar „kleinere“ Hügelchen und Berglein, die sich im Vergleich winzig ausnehmen, obwohl sie das keineswegs sind und eine eigene Herausforderung darstellen. Im Hintergrund sieht man noch höhere, karstigere Bergmassive, den Dachstein zum Beispiel, oder die gewaltige Pracht des toten Gebirges auf der andere Seite. Der Name dieser Gebirgskette kommt übrigens daher, dass die Landschaft weitgehend vegetationslos – tot – wirkt.
Bad Aussee gilt als das Herz Österreichs, weil es im Mittelpunkt der Alpenrepublik liegt. Diese Geschichte geht auf die Ausschreibung einer Illustrierten im Jahr 1949 hinaus, hier nachzulesen.
Laut einer Vermessung von 2019 ist der tatsächliche Mittelpunkt Österreichs aber ca. 25 Kilometer weiter östlich, in der Nähe des Ortes Stainach-Pürgg. Also quasi in unmittelbarer Nachbarschaft. Diese mathematische Korrektur ändert aber nichts daran, dass man Aussee als Mittelpunkt sieht, vor allem in Aussee selbst.
Ich mag Bad Aussee. Ich bin von der Landschaft fasziniert, die unergründlich tiefen Seen und die himmelhohen Berge bilden einen extrem intensiven Spannungsbogen, indem man sich verlieren kann. Auch die Geschichte des Ortes, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit nicht so hübsch und traditionell ausgesehen hat wie heute, ist sehr interessant. Die Salzgewinnung in Altaussee, im Sandling, hat über einen langen Zeitraum dafür gesorgt, dass im Ort und den Tälern rundum überall rauchende Schlote zu sehen waren: Die Salzpfannen, wo die aus dem Berg geschwemmte Sole zu Salzkegeln „gekocht“ wurden. Der enorme Holzverbrauch führte dazu, dass die Berge „glatzert“ waren, wie es der Führer im Kammerhofmuseum ausgedrückt hat. Die Arbeit im Bergwerk war enorm anstrengend, die Lebenserwartung dementsprechend gering. Die harte Arbeit prägte sowohl die Landschaft und als auch die Bevölkerung.
Der Aufstieg zur Tourismusmetropole, zum Augenstern des Ausseerlandes und zur heutigen pittoresken Schönheit kam erst mit der Eisenbahn, die Kohle für den Betrieb der Salzpfannen lieferte. Damit konnten sich die Wälder rundum erholen. Erzherzog Johann tat viel für die Region und organisierte unter anderem für die Bergleute das, was man heute „Lebensversicherung“ nennen würde: Jeder Bergmann leistete einen kleinen Beitrag in die Schatulle, aus der nach Unfällen Unterhalt und Versorgung der Verletzten und Invaliden gezahlt wurde.
Der heute kolportierte Reichtum des Salzlandes war für die normale Bevölkerung lange Zeit nicht greifbar und kam, wie meist und nicht nur damals üblich, nur einigen wenigen zugute.
Heute ist Bad Aussee eine entzückende Stadt, wo sich auch die Neubauten an die gestalterische Direktive zu halten haben, die den besonderen Flair des Ortes ausmachen, zu dem natürlich auch die Tracht der BewohnerInnen gehört. Liest und hört man nur davon, drängt sich in der Fantasie das Bild von „Sound of Music“ auf: Kitsch in höchsten Tönen.
In der Realität ist es anders, nämlich ehrlich authentisch und stimmig. Die Tracht, das „Gwaund“ ist überall normal und präsent. Ohne Tracht fühlt man sich fast als Fremdkörper, nicht richtig angezogen und erkennt andere, nicht hierher gehörige, auf diese Weise. Greift man dann als Nicht-AusseerIn zur heimischen Tracht, egal ob Dirndl oder Lederhose, ist man aber noch immer nicht drin, im Salzkammergut-Dresscode. Es gehört mehr dazu, als handbedruckte Seidenstoffe, grünes Laibel, lila Schürze oder eine 5-nahtige Lederhose mit gelbem Abschluss. Man muss die Tracht auch inwendig tragen, am besten ein paar Generationen lang, damit sie authentisch wird. Man muss sie im wahrsten Sinn des Wortes besitzen und sich von ihr besitzen lassen, eine Symbiose eingehen, und sich mit dem Ort, Geschichte und den Bergen auf eine Art und Weise verwurzeln, wie man es in anderen Regionen nur noch sehr selten findet. Naturgemäß werden Dirndl und Hose auch nicht einfach gekauft, sondern erworben und individuell angemessen.
Ich bin keine Dirndlträgerin, ich mag lieber die Lederhose, weil die für mich einfach bequemer ist und alleine das macht mich schon zu einer Aussenseiterin. Aber ich bewundere die unglaublich schönen Dirndln und ihre Trägerinnen über alle Maßen. Vor allem das man die Kleider ganz selbstbewusst auch bei den alltäglichsten Arbeiten trägt, nicht nur an besonderen Feiertagen. Auch wenn sich die Hobby-Historikerin in mir auch kritisch fragt, ob die TrachtenträgerInnen mit der Geschichte ihrer schönen Muster und der Schnitte vertraut sind und wissen, welche Ursprünge sie haben.
Womit wir uns zaghaft dem dunklen Kapitel des Salzkammerguts nähern und der traurigen jüngeren Geschichte, der unseligen ehemaligen Verbundenheit zum dritten Reich. Eine Geschichte, die noch nicht mal ansatzweise auf- oder verarbeitet wurde, wo man vergeblich nach Infotafeln oder musealer Wertschätzung sucht. Eine Frage, die eine Besucherin bei der Kammerhof-Museumsführung im Anschluss stellte, drehte sich genau darum: „Wo findet man Gedenkstätten zu dieser Zeit? Gibt es eine Erinnerungskultur? Aufarbeitung?“ Die Frage brachte den guten Mann, der uns 2 Stunden durch das wirklich sehenswerte Museum geführt hatte, sichtlich aus dem Konzept. Denn man kann das nicht einfach mit „Nein, gibt es nicht“ beantworten. Die Lage ist diffizil und am ehesten mit „Beziehungsstatus kompliziert“ einzuordnen.
Die Alpenfestung war der Rückzugsort zahlreicher Nazigrößen, die sich zum Teil vor oder nach Kriegsende mit den Alliierten „verständigten“. Die letzen Kriegswochen müssen extrem chaotisch gewesen sein. Nicht was Bombardierung oder Kriegshandlungen selbst betraf, sondern aus diplomatisch und gesellschaftlicher Sicht, die sich täglich änderte. Diese Lage zog sich auch noch einige Jahre nach Kriegsende hin und über vieles, was damals stillschweigend mehr oder weniger akzeptiert wurde, ist heute in mehrfacher Hinsicht das Gras gewachsen. Es aufzurollen ist mühsam, reißt kaum verheilte Wunden auf und kann eine Lawine lostreten. Lawinen aber, das weiß man in einer Gebirgsregion, können unvorhersehbar großen, auch kollateralen Schaden anrichten, an dem man lange zu arbeiten hat.
Das ist keine Verurteilung oder ein Vorführen – ich bin unendlich dankbar, niemals in einer solchen Lage gewesen zu sein, niemals in so einer Zeit gelebt zu haben, wo ich mich Fragen hätte stellen müssen, auf die man für eine falsche Antwort nicht nur das eigene Leben riskierte. Was aber auch nicht bedeutet, dass nicht im Nachhinein eine Analyse erfolgen kann, wo man sich den hässlichen Fakten stellt. Dabei geht es, frei nach Viktor Frankl, nicht um Schuld, sondern um Verantwortung.
Das kollektive Bewusstsein könnte heute zum Beispiel durchaus auch die Rolle der jüdischen GemeindebürgerInnen und TouristInnen der damaligen Zeit deutlicher auf den Schirm rufen. So gehen die wunderschönen Seidendrucke der prachtvollen Trachtenstoffe auf Anna Mautner zurück, die Ehefrau des Volkskundlers Konrad Mautner. Über ihren Mann, der sich sehr für die Traditionen und geschichtlichen Hintergründe des Ausseerlandes, insbesondere auch der Tracht, interessierte und diese auch schriftlich dokumentierte, findet man einige Hinweise und Gedenkstätten. Im Logo der Mautner-Seidendrucke ist sein Konterfei nach wie vor abgebildet. Diese Seidendrucke gehen ursprünglich auf Anna Mautner zurück, die 1930, nach Konrad Mautners Tod und dem Konkurs des Familienunternehmens, in Grundlsee die Mautner Handdrucke gründete.
1919 waren sie und ihr Mann zum Protestantismus übergetreten, was ihr beim Anschluss ans deutsche Reich aber nichts half: Sie galt entsprechend der Nürnberger Rassegesetze als jüdisch, das Unternehmen und ihr Haus am Grundlsee wurde arisiert. Die wertvolle Sammlung musste unter Wert verkauft werden. Ihr selbst und ihren Kindern gelang knapp und mittellos die Flucht nach Amerika. Sie überlebte und kehrte 1946 sogar nach Grundlsee zurück. In einem langwährenden Rückstellungsverfahren bekam sie zwar nach Jahren das Haus, Teile der Sammlung und auch ihre Firma zurück. Auf die komplette Restitution der Teile ihrer Sammlung, die sie gezwungen war an das Volkskundemuseum zu verkaufen, wartete sie vergeblich.
Mehr dazu gibts hier: Anna Constanze Mautner, im Lexikon der österreichischen Provenienzforschung.
Das ist nur eine kleine Geschichte aus dieser Zeit und der darauffolgenden Jahre und wie sehr diese Thematik mit der Geschichte des Ortes und der heutigen Zeit verbunden ist. Einen Einblick in diese Welt kann man im neuen Buch von Marie Therese Anborn finden: Die Villen vom Ausseerland: Wenn Häuser Geschichten erzählen*.
Es mag sein, dass die Auseinandersetzung bzw. Aufarbeitung der Nazizeit im Ausseerland die Harmonie der aktuellen Darstellung in manchen Bereichen ändern würde. Aber sie gehört meiner Meinung nach unbedingt dazu, damit das Gesamtbild stimmig und geheilt wird. Denn man merkt, dass da ein großer dunkler, ungenannter Fleck ist, den man nicht sehen will, ja fast krampfhaft ausblendet. Es ist wie das Salz, dass man auch in Süßspeisen gibt, damit der Geschmack intensiver wird. Es fehlt, wenn man es weglässt. Nur süß ist nett, aber erst mit Salz kommt eine Tiefe dazu, die den Geschmack verstärkt und abrundet. Nimmt man das Salz aber nicht bewusst zur Kenntnis und geht achtsam damit um, kann es in Wunden kommen und das tut weh.
Zurück zu meinem Reha-Sommerfrische-Aussee-Ambivalenz-Aufenthalt: Im Gegensatz zu früheren Aussee-Besuchen zog es mich dieses Mal hauptsächlich zu den Seen rundum, die einiges an Tiefe zu bieten haben. Das lag natürlich am Sommer und der intensiven Hitze. Die Seen machten aus meiner dreiwöchigen Reha eine genussvolle, urtümliche Sommerfrische.
Mein absoluter Liebling, zugegeben sehr subjektiv, aber dennoch: Der Altausseersee. Das Schwimmen in diesem knapp über 20 Grad kalten Wasser, umgeben von Loser, Sandling, Trisselwand & Co. ist einfach unglaublich schön, heilsam und erfrischend für Körper, Geist und Seele. Das fanden naturgemäß auch ein paar hundert andere. Aber der See bietet genug Platz, so dass man selbst an heißen Sonntagen ein schönes Platzerl finden kann. Oder mehrere, wenn man sich zu einer Rundwanderung entschließt und sich von den Badeplätzen spontan finden lässt.
Damit ich mir einen objektiven See-Über/Einblick verschaffen konnte, war ich natürlich auch im Grundlsee schwimmen, auch bekannt als „das steirische Meer“ und ich bin sogar kurz in den Toplitzsee eingetaucht.
Den Hallstätter See habe ich diesmal ausgelassen. Auch weil der meinem G´spür nach kein Badesee ist. Dort kann man intensiv in die Tiefe meditieren, der sehr eigene Spannungsbogen Landschaft – See – Geschichte drängt einen dazu sich damit auseinander zu setzen. Die Gegend hat eine sehr eigene Schwere, die man achten sollte. Fröhlich im See herum planschen käme mir da fast wie ein Sakrileg vor. Aber das liegt in meiner persönlichen Wahrnehmung und ist keine allgemein gültige „Pflicht“. Man muss selbst rausfinden, ob’s passt oder nicht, jede/r für sich.
Der Grundlsee ist wahrlich riesig und es finden sich viele schöne Badeplätze. Doch durch die Verkehrslage ist er nicht ganz so ruhig wie der Altausseersee und möglicherweise war es das, was mich mehr zu zweiterem zog. Das Wasser ist da wie dort sensationell, erfrischend kühl und beim Grundlsee gefühlt sogar wärmer. Die Diskussion, welcher See „toller“ ist, ist müßig: Selbst rausfinden ;-)
Das Schöne bei beiden Seen: Es gibt zahlreiche kostenfreie Möglichkeiten zum Baden. Das einzige, was zu bezahlen ist, ist die Parkgebühr – die gibts überall, denn Parkraum ist knapp. In Altaussee gibt es weniger Parkplätze, am Grundlsee sind sie dafür eine Spur teurer.
Der Toplitzsee hingegen war badetechnisch eine kleine mentale Mutprobe für mich. Er ist von der geomantischen Schwere her dem Hallstätter See sehr ähnlich. Besuchen wollte ich ihn schon lange und Geschichten kenne ich viele rund um ihn. Und bevor wer fragt: Ich habe dort keinen Schatz gefunden, keinen gesucht und noch weniger einen gemutet ;-) Was sicher daran lag, dass meine Prioritäten woanders waren und ich der landläufigen Meinung zustimme, dass es hier keinen Schatz zu bergen gibt. Bestenfalls kann man den vermutlich nur hier vorkommenden Wurm, der in der sauerstofflosen, leicht salzigen Tiefe des Sees lebt, als Naturschatz bezeichnen. Natürlich hat man diesen Schatz auch benannt – der Wurm heißt Willi. Aber thematisch ist dieser Schatz sehr weit weg von den erhofften Gold- und Geldfunden, die man mit dem Toplitzsee gerne verbindet.
Zurück zu unserem See-Besuch: Es war ein glutheißer Tag und wir haben auch noch den heißesten Weg über die Forststraße genommen, unwissentlich. Im Nachhinein ist man immer klüger und für allfällige weitere Ausflüge ist bei mir abgespeichert: Nicht den Weg mit dem Parkplatz in nächster Nähe nehmen. Lieber weiter weg parken und den Weg durch den Wald wählen.
Erstes Ziel war die Fischerhütte am Toplitzsee. Für ihr Essen berühmt und das zu recht: Die Fischgerichte sind köstlich. Aber auch die Torten sind immer eine Versuchung wert – laut Aussage einer Freundin.
Ein Seeumrundung ist nur mittels Boot möglich. Will man zum östlichen Ende des Sees, wo man zum Kammersee und Traunursprung kommt, muss man die Fahrt mit der Plätte buchen. Einen anderen Weg gibt es nicht, da der See wie am Boden einer steilen Schüssel, eingebettet in felsige, unzugängliche Berghänge, liegt. Ein schmaler Weg führt zwar von der Fischerhütte Richtung Kammersee, biegt aber nach den Wasserfällen ins Gebirge hinauf ab und erfordert einiges an Kraft und Anstrengung. Sich einen Weg durch das buchstäblich unwegsame Gelände zu suchen ist absolut nicht zu empfehlen.
Doch die Fahrt mit der Plätte lohnt sich und ist preislich ok. Man wird am Weg nahe zu den beiden Wasserfälle gebracht und landet nach relativ kurzer Zeit bei der Kammersee-Landestelle. Dazwischen und am Rückweg gibt es atemberaubende Ausblicke auf den See und die sich darin spiegelnden Berge – einfach traumhaft schön.
Der Toplitzsee ist an seiner tiefsten Stelle 103m tief und liegt damit, laut Aussage des „Plätten-Käptn`s“ am tiefsten Punkt unter dem Kurpark von Bad Aussee. Beachtlich, denn der See selbst liegt höher als die Kurstadt. Die zahlreichen Geschichten und Sagen um den See haben naturgemäß das ihre dazu beigetragen, dass der Ort eine ganz eigene Mystik entwickelt hat. Auch ohne dieser Komponente ist der Platz sehr speziell. Es liegt eine eigene, sehr intensive Schwere über dem See, gepaart mit einer tiefen, uralten Naturkraft, Äonen älter als der Mensch. Und man spürt auch einiges an beharrlichem Trotz, sich genau so zu bewahren. Ein kraftvoller Ort, mit einem sehr eigenen, vorsichtigen Frieden, den man sich erarbeiten muss, um ihn als angenehm zu empfinden. Ein sonniger Tag ist dafür eindeutig hilfreich.
Der Kammersee am östlichen Ende des Toplitzsees gelegen und innerhalb der 20 Minuten Aufenthalt, die man bei der Plättenfahrt hat, absolut leicht zu erreichen, war bei unserem Besuch am unteren Ende seines Wasserstandes. Das kann sich innerhalb weniger Stunden bzw. Tage ändern, wenn es viel regnet. Dann wird aus der „müden Lake“ im Handumdrehen ein 18m tiefer See. Am östlichen Ende des kleinen, gleichfalls „schüsselig“ eingebetteten Sees sieht man den langen Wasserfall, der als Traunursprung gilt. Alle drei Wasserfälle am Weg führen im Sommer sehr wenig Wasser. Während der Schneeschmelze im Frühjahr kann sich die Wassermenge um das tausendfache steigern.
War der Toplitzsee auf eine sehr eigene Art schwer und tief, aber auch auf eine gewisse Art friedlich, hat sich der Kammersee als … nun ja, es ist kein Ort, wo man sich lange aufhalten mag, auch wenn die Landschaft faszinierend ist. Geomantisch kann man hier sehr deutlich einen Erdeinatmungspunkt und noch einiges mehr wahrnehmen, dass zu dieser Schwermut beiträgt. Zugleich erhält man auch das Gefühl, nicht hierher zu gehören, schlicht zu stören. Der Ort grenzt sich sehr deutlich ab. Zudem ist der Platz auch geschichtlich intensiv belastet. Ein schmaler Triftkanal verbindet den Kammer- mit den Toplitzsee. Er wurde im Mitte des 16. Jahrhundert von Strafgefangenenen aus dem Fels geschlagen, um eine Möglichkeit für den Holztransport zu schaffen. 97m lang, 2m breit und 6m tief – eine unglaubliche Kraftanstrengung. Man kann sich leicht vorstellen, dass das kein gemütliches Steineklopfen war, sondern eine brutale, traumatische Arbeit.
Die sich abgrenzende Stille rund um den in sich gekehrten See macht auch klar, warum der Aufenthalt bei der Plättenrundfahrt mit 20 Minuten mehr als ausreichend ist. Der Hin- und Rückweg zum Kammersee und Anlegestelle dauert jeweils 3-5 Minuten. Den Rest der Zeit hat man für den kleine See. Länger muss der Aufenthalt gefühlt auch nicht sein, sofern man nicht eine sehr besondere Tiefenmediation vorhat.
Mein Fazit
Bad Aussee und das Ausseerland sind eine wunderbare Urlaubsdestination und bieten geomantisch-radiästhetisch sehr viel. Dazu gehört meiner Meinung nach auch, dass man sich mit den geschichtlichen Hintergründen der Region befasst und sich kritisch damit auseinandersetzt. So bekommt man einen besseren Einblick in die Emotionen und besonderen Qualitäten der Orte, die ja durch die menschliche Geschichte mit geprägt werden. Es gibt hier eine Vielzahl besondere Orte, die man sich geomantisch erarbeiten kann und wo es radästhetisch viel zu muten gibt. Oder wo man sich einfach sanft auf die Schwingung des Platzes einlässt und spürt, was es in einem selbst hervorbringt. Mag sein, dass man da auf ein paar ganz besondere, echte Schätze stoßt, die den nicht-existenten Toplitzsseer-Schatz weit in den Schatten stellen.
Zu meiner persönlichen Ambivalenz: Das Ausseerland war und ist für mich keine Wellness-Region, wo ich mich heimelig, entspannt und geborgen fühle. Die Berge sind mir eine Spur zu nah, zu hoch, zu drängend, zu präsent. Die Seen sind immens tief, die jüngere Geschichte sehr präsent und der daraus entstehende Spannungsbogen intensiv.
Ich mag beim Blick aus dem Fenster den Himmel sehen, ohne den Kopf in den Nacken geben zu müssen. Gleichzeitig ist es für mich eine Herausforderung, denn eben die gleichen Berge „rufen“ einer zu, dass man sich nicht eingrenzen lassen soll. Weder von anderen, noch von sich selbst. Sie fordern immer wieder heraus und dazu auf, sich an ihre und die eigenen Grenzen zu begeben, um zu wachsen und die Komfortzone hinter sich zu lassen. Als wäre man ein Messer, dass aufgeforder ist, sich an diesen gewaltigen Steinen zu schärfen.
Daraus entsteht ein Zwiespalt, dem man sich stellen kann. Wagt man es, ist die Unterstützung der drängenden Berge gewis, Man wird mit einem unglaublichem Weitblick und tiefem Glück über die eigene Courage belohnt.
Ich hab es diesmal, mangels ausreichender Zeitfenster, nur im „Kleinformat“ probiert und bin auf den Tressenstein marschiert – das „Kind“ von Loser und Tresselwand, immerhin auch noch 1201m hoch. Die Tressenstein-Warte oben hebt einen nochmal einige Meter über den Boden und dann ist sie da: Die Weite, das Glück, die Freude über den eigenen Mut und das man den inneren Schweinehund im Tal gelassen hat. Dann weiß man, warum man sich hinauf quält und schwitzt und am Tag darauf noch spürt, welche Muskeln man schon sehr lange ausser Acht gelassen hat.
Und zum Abschluss noch der Loser!
Vielleicht liegt ein Grund meiner Ambivalenz auch darin, dass es nie genug Zeit gibt, sich voll und ganz mit allen Orten intensiv und so, wie es für mich stimmig wäre, auseinanderzusetzen. Es ist einfach nie genug Zeit da. Zum Beispiel könnte man allein am Loser gut 2-3 Wochen investieren und immer wieder neue Besonderheiten finden.
Ein Aussee-Besuch ohne Loser geht also schon mal gar nicht und darum war ich sehr froh, als wir am letzten Abend spontan mit dem Auto über die Panoramastraße hinauf gefahren sind. Von oben dann ganz entspannt ins Tal schauen, wo wir uns drei Wochen aufgehalten haben. Die verbrachte Zeit nochmal wirken und verankern lassen, allen Orten einen leisen Gruß zuwerfen und möglicherweise hat sich auch ein Andachtsjodler dazu gesellt ;-)
Ein schöner, stimmiger Abschied, der meine Sehnsucht nach Weitblick beruhigt, mir Frieden geschenkt und zugleich den Wunsch nach mehr geweckt hat. Denn von ganz oben sieht man dann halt doch um einiges weiter und das macht neugierig auf all das, was es da noch zu entdecken gibt. Der Loser im Hintergrund flüstert leise, dass er wartet, bis man wieder kommt und ich glaub ihm.
Es bleibt also dabei, dass ich mich meiner ganz persönlichen Bad Ausseer Ambivalenz immer wieder stellen werde und das ist gut so ;-)
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2 Comments
Sabine Schulz #naturdenkerin
Liebe Michaela – ich bin einmal wieder so fasziniert von deinen Inhalten sowie deiner Art zu be-schreiben. Du gehst auf den Punkt, gerade in der Beschreibung von (Alt)Aussee und den Seen auf die leidvollen der jüngeren Vergangenheit und dennoch kann ich als Leserin ohne im Morast zu versacken motiviert weiter lesen bzw. gehen. Ich frage mich gerade, ob die dortige „Gwaund-Gesellschaft“ – und ihre Gäste – bereit ist für ein lernendes, vielleicht selbst-reflektorisches Umgehen mit den Ereignissen des Dritten Reiches, aufgearbeitet in einer guten Form, ohne stark zu inszenieren?
LG
Sabine #naturdenkerin
Michaela Schara
Liebe Sabine,
vielen Dank für dein Feedback und dein Wahrnehmung/Bestätigung! Ob und wie die Besinnung vor Ort stattfinden kann … oder wird … wird sich irgendwann zeigen bzw. gezeigt haben. Potential ist sicher vorhanden und auch zunehmend der Wunsch, das aufzuarbeiten und zu befrieden, speziell in der jüngeren Generation. Aber halt noch nicht in dem Ausmaß, dass es sich auch im Außen zeigt. Es geht ja, wie du es so schön schreibst, auch nicht darum sich zu geißeln oder im „Morast zu versinken“. Es geht einfach um Anerkennung dessen, was war, im Guten und im Schlechten. Dann kann Heilung beginnen und ein Abschluss gefunden werden. Ist zumindest meine Auffassung.
Herzliche Grüße und eine gute Zeit,
Michaela