“Wenn es um Weihnachten geht, dann werden alle zu Christen.”
Meine Finger sind zerstochen, eben habe ich die letzten Dekorationsstücke auf den Adventkranz getan – die Schalen der Edelkastanien. Optisch hübsch, aber mit wehrhaften Stacheln versehen und sie haben wie immer ein paar dieser Stachel in meinen Fingern gelassen.
Aber das gehört dazu, zum Adventkranzbinden, und wie jedes Jahr bin ich auch heuer wieder versucht, die piecksenden Stacheldinger rasch und (für mich) schmerzlos dem Kaminfeuer zu überantworten. Wie jedes Jahr tue ich es auch heuer nicht – aber es gehört dazu.
Ich bestehe auf diesem Ritual – also nicht unbedingt darauf, dass ich jedes Jahr im Anschluss daran, mit Pinzette und Lupe bewaffnet meine Finger “operiere”. (Aber es gehört dazu.) Ich bestehe auf dem Adventkranz und wenn immer möglich, muss es ein selbst gebundener sein. Nicht weil ich die große, biedermeierliche und besonders begabte Handwerkerin bin. Sondern weil es für mich dazu gehört.
Genauso wie das Zusammenfinden des Tannenreisigs (möglichst aus dem Ort, von benachbarten Bekannten, die zu dieser Jahreszeit im Wald Bäume fällen), das Herauskramen der Dekorationsmaterialien (die teilweise schon über 20 Jahre alt sind und voller Erinnerungen stecken), das Binden (immer spät, aber immer noch rechtzeitig, damit am 1. Advent die 1. Kerze brennen kann) und dekorieren (siehe oben).
Ich brauche das, es stimmt mich erst richtig auf diese Zeit ein, es gehört für mich dazu und auch wenn es kein “klassisches” Ritual ist, keine Gebete gesprochen werden, so ist es mir wichtig. Lieber verzichte ich auf das Räuchern, als auf meinen Adventkranz.
Und noch einiges anderes gehört für mich dazu, zum Weihnachtsfest, zum Fest der Wintersonnenwende. Mit dem Adventkranz beginnt diese Zeit und mit dem Verräumen der Weihnachtsdeko, Ende Jänner, endet sie bei mir.
Heuer aber tauchen beim Kranzl-Binden Eindrücke und Erinnerungen an meinen Japan-Aufenthalt im November 2014 auf und ich muss an Ichirō-San denken, unseren Guide, der uns durch Osaka geführt hat.
Die Führung begann in der riesigen Osaka-Station. Einem gewaltigen Bahnhof mitten in Osaka, eine Stadt in der Stadt, mit allem, was dazu gehört. Täglich kommen hier an die 840.000 Menschen durch, steigen ein, steigen aus, kaufen ein, versorgen sich mit lebens- und weniger notwendigem.
Es gibt hier Plätze zum Erholen, teilweise richtige kleine Parks in den Türmen. Und auf einem dieser Plätze wurde eben die Weihnachtsdekoration aufgebaut.
Schneemänner, Glitzerlichter, Rentiere, Schlitten … von stylisch bis kitschig und seltsam wirkend, in dieser doch eher schneearmen Region.
Weihnachten in Japan?
“Ja,” meinte Ichiro-San, “Eigentlich sind die meisten ja Shintoisten oder Buddhisten. Aber an Weihnachten werden auch die Japaner zu Christen.”
Das Weihnachtsfest hat sich hier durchgesetzt. Nicht aus religiösen Gründen und auch nicht, um das alte Fest der Wintersonnenwende zu begehen, auf dem unser heutiges Weihnachten ja aufbaut.
Es ist die höchst interessante Kombination aus ein bisschen Spiritualiät gepaart mit rein wirtschaftlichen, konsumorientierten Aspekten. Anders ausgedrückt: es gibt Geschenke und eine Gelegenheit zum Feiern.
Und das ist in einem so wirtschaftlich orientierten Land ein gewinnbringendes Argument. In Osaka, das eine alte und sehr aktive Handelsstadt ist, ist es spürbar und überall zu sehen: Christmas all over – come and buy.
Es gibt üppige Weihnachtskuchen, glitzernde Deko, Päckchen unter Bäumen und als ich am Abend ins Hotel zurückkomme, steht da ein Lebkuchenhaus. Eigentlich mehr eine Lebkuchenvilla. Hänsel und Gretel hätten bei dieser Zuckerfülle keine Chance mehr auf eine gesunde Kindheit gehabt. Die Zuckerburg schaut eher aus wie aus dem Schlaraffenland entführt. Sehr detailliert und opulent dekoriert – prachtvoll. Aber auch ein bisschen schräg.
Die Weihnachtsdarstellung, das ganze rundherum orientiert sich hier eher am anglikanischen Raum, wie vieles andere auch (sie fahren ja auch auf der falschen Straßenseite in Japan ;).
Santa Claus ist in dieser Region zuständig, unser Christkind ist nicht amerikanisch genug. Der blauleuchtende Hirsch vor dem Hilton Plaza reckt seine Nase nobelarrogant in die Luft, würdigt uns keines Blickes, ein typischer Platzhirsch. Wir bewundern in trotzdem.
In den weniger touristischen Bezirken verschwinden die Weihnachtsambitionen. Doch dann und wann blitzen auch hier x-massige Glitzerteile aus den Auslagen, die sanfte Hinweise auf das Fest liefern. Da wirken sie dann zwar eher exotisch und in manchen Fällen fehl am Platz. Aber sie sind da.
Das spannende an dieser “Weihnachtsstudie”: kein anderes Fest hat es geschafft sich weltweit so durchdringend zu verbreiten.
Die Wintersonnenwende ist in vielen Kulturen ein wichtiger Punkt im Jahreskreis. Doch Weihnachten (Weihnachtsbaum, Lebkuchenhaus, Schneemänner, Glitzersterne …) ist etwas anders. Basierend auf dem christlichen Glauben hat sich ein gewinnbringendes Ökonomie-Ritual daraus entwickelt. Irgendwo im Hintergrund liegen die ursprünglichen Wurzeln noch, wenn man sie denn suchen will. Aber eigentlich sind sie nicht wichtig. Weihnachten ist ein globales Fest geworden und dazu hat man keine Kreuzzüge und keine Inquisition gebraucht. Der Santa-Tracker informiert via Internet in Echtzeit über die Geschenkeverteilung und der Countdown ist heutzutage kein Adventkalender, sondern das sich steigernde Klingeln der Kassen.
Manche machen sogar daraus Musik (siehe hier: Edeka Jingle Bells). Klingt cool, alle lachen und es ist definitiv eine Abwechslung im Shoppingalltag, wo man die weihnachtliche Dauermusikberieselung aus reinem Selbstschutz schon nicht mehr mitbekommt.
Punschstände verlocken allenthalben dazu im Namen der guten Sache alkoholischen Zucker zu trinken. Schon ok und ein Teil der Einnahmen wird sicher auch für den genannten Zweck verwendet werden. Ohne Punsch kein Weihnachten, der gehört dazu. Und wenn er als Spende getarnt ist, dann hat man auch kein schlechtes Gewissen wenn man sich den Magen daran verdirbt.
Weihnachten – ein Fest, das spirituell begann, mit der Geburt eines Kindes, des Lichtgottes. Ein Fest das so alt ist, wie die Menschheit und seit Anbeginn zu den wichtigen Ritualfeiern im Kreis des Jahres gehört, quer durch die Jahrtausende. Eine Kultur übernahm die Basis von der vorigen, adaptierte die Rituale, behielt den Kern und das Datum bei und trug die Fackel von der Rückkehr des Lichts weiter.
Im Grunde genommen ist es ein schönes, friedliches, sanftes und sehr stimmungsvolles Fest. Egal welcher Glaubensrichtung man angehört. Die dunkle Jahreszeit verleitet dazu sich mit den kleinen, oft versteckten Lichtern in sich selbst auseinanderzusetzen. Man kommt meditativ in Kontakt mit seinen Wurzeln und könnte zur Ruhe kommen, die einen an diesem Punkt des Jahres sanft durch die Dunkelheit zum Licht des nächsten Jahres begleiten würde.
Aber dazu braucht man eben auch Ruhe und das, was Weihnachten global erfolgreich gemacht hat, ist definitiv nicht die Ruhe. Es sind die Geschenke.
Denn wenn es darum geht, etwas geschenkt zu bekommen oder etwas zu schenken, dann werden wir offenbar alle zu Weihnachts-Christen und tragen den Glauben an das, was die Ursache für die Pakete ist, somit gerne weiter … oder?
Mein Kranz ist fertig, die erste Kerze brennt und ich überlege, ob ich noch einen Türkranz mache oder es gut sein lasse. Tee und Früchtebrot stehen bereit, ein Buch liegt da, Tannenduft in der Luft … herrlich.
Ich kann nicht sagen warum mir dieses “Ritual” so wichtig ist. Vielleicht ist es ein stiller Protest, ich will keinen kaufen, das wäre nicht das gleiche. Vielleicht versuche ich in dieser volldigitalisierten Welt den Kontakt zu den anderen Fähigkeiten meiner Hände wachzuhalten – ich kann nicht nur eine Tastatur bedienen, ich kann auch richtig damit arbeiten, mit diesen Händen. Vielleicht ist es die Auseinandersetzung mit den Naturmaterialien, das Finden des Reisigs im Wald, das Verbinden der Elemente im Kranz – es hat definitiv auch etwas mystisches – und das ich am Ende etwas Begreifbares in meinen Händen halte, das von diesen geschaffen wurde.
Immer anders, jedes Jahr aufs neue und immer noch irgendwie rechtzeitig.
Wenn es um den Adventkranz geht, dann werde ich zur Weihnachts-Christin – wobei der Kranz und seine Symbolik (grünes Reisig, vier Kerzen, der Kreis …) ja wesentlich älter sind, als der christliche Brauch.
Er ist mein Geschenk an mich und diese Zeit. Das gehört für mich dazu, zu Weinachten, zu diesem Jahreskreisfest.
Ein frohes Fest, egal wann, wo und wie ihr es feiert!
Und wenn es Geschenke sind, die euch das Fest feiern lassen, dann ist das auch ok ;-)