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Die Steinmetzmeisterin von Zogelsdorf

Der November ist ein spannender Monat. Denn einerseits schreit nun alles in mir und rund um mich nach Ruhe – ich will den Blättern beim Buntwerden und Fallen zusehen, will die unbeschreibliche Herbstwaldduft atmen, mich in den Nebel fallen lassen, bildlich und wörtlich, zugleich die Füße auf den Couchtisch legen, ein Buch lesen (als Alibi, zugleich sinnentleert ins Narrenkastel schauen und dazu Tee mit Maroni genießen.

Aber der Kopf sagt, dass er noch ein paar Geschichten loswerden will und das jetzt gut passt und überhaupt: es gibt dann so spannende, motivierende Herausforderungen, auch „Challenge“ oder Aktion genannt, wo die krausen Gedanken und schrägen Erlebnisse Raum zum Geborenwerden finden. Zum Beispiel die Zeichenaktion #30SkizzenimNovember. Da mache ich dieses Mal mit meinem anderen Blog und 10 schrägen G´schichten mit.

Und dann gibt es die nun schon zum 5. Mal stattfindende Blog-Aktion von Annegret und Petra, die in ihrem Totenhemd-Blog den ganzen November über jeden Tag eine andere Erzählung veröffentlichen. Die Geschichten, Erlebnisse, Erzählungen sind von unterschiedlichen Blogs bzw. AutorInnen und alle schreiben rund um ein vorgegebenes Thema. Heuer stehen Friedhofsbesuche am Programm:

[…] Mache einen Spaziergang über einen Friedhof. Fotografiere etwas, das Dir auffällt/dich irritiert/anspricht/ berührt – und schreibe einen kleinen Text dazu. […]

Das Thema hat mich sofort angesprochen und ebenso unmittelbar wusste ich, worüber ich schreiben wollte: über einen Spaziergang am Friedhof der mittelalterlichen Kirche von Burgschleinitz. Denn dort bin ich buchstäblich über etwas Besonderes gestolpert.

Das Grab der „Steinmetzmeisterin von Zogelstorff

Die Kirche ist wie aus einem Bilderbuch: idyllisch, romantisch und ohne moderne Bauten oder durch brachiale Renovierungsaktionen verschlimmbessert. Neben unzähligen radiästhetischen und geomantischen Besonderheiten geologischer und geschichtlicher Natur ist sie ein Juwel mittelalterlich romanisch-gotischer Baukunst, mit vielen mysteriösen Dombauhüttengeheimnissen und einem einzigartigen gotischen Karner. Auch der Friedhof rund um die Kirche ist bemerkenswert. Hier hat sich Joseph II. mit seinen Reformwünschen nicht durchgesetzt, aus welchem Grund auch immer. Der Friedhof blieb da, wo er immer war: Rund um die Kirche. Uralte und neue Gräber liegen somit nebeneinander. Man wandelt durch die Jahrhunderte, findet kleine, fast unscheinbare Grabstätten und deutlich imposantere, anhand derer man auf den Status in der Gesellschaft schließen kann.

Besonders schön sind die Muster und Zeichen, mit denen viele alte Grabsteine versehen sind. Die Kunstfertigkeit in der Ausführung ist kein Zufall, die Gegend hier ist seit vielen hundert Jahren berühmt für außergewöhnlichen Steinmetzarbeiten und die besondere Qualität des Grundmaterials. Nicht weit von Burgschleinitz liegt ein Steinbruch, aus dem auch für den Stephansdom in Wien Material bezogen wurde. Zahlreiche Steinmetzen und ihre Arbeiten haben von hier ihren Weg in die Hauptstadt gefunden. Das Gewerbe blühte, was der Region gut tat.

Heute ist davon kaum noch etwas zu finden. Die Anforderungen der Zeit haben sich geändert, es gibt nur noch wenige Steinmetzbetriebe.

Der Friedhof aber hat seine eigene Zeit und Geschichte. Wer hier liegt, ist Teil davon. Gab es Ruhm, der wichtig zu erwähnen war, wurde das mitunter am Grabstein verewigt. Wie bei der Frau, deren Hauptleistung in damaliger Hinsicht die Geburt eines Sohnes war, der Priester wurde. Was ihr den Titel „Priestermutter“ am Grabstein einbrachte. Die steinerne Abbildung einer „Mater Dolorosa“, der himmlischen Schmerzensmutter, birgt in diesem Zusammenhang viel Interpretation und Raum für eine eigene Geschichte.

Aber heute möchte ich eine andere Dame vorstellen, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Priestermutter liegt, nämlich gleich dahinter. Direkt in einer Ecke der Kirchenmauer, „nahe bei Gott“, ist ihr Grab. Die Jahreszahl ihres Todes ist schwer zu lesen, es ist gotische Schrift und die Zahlen waren damals etwas anders als heute. Für moderne Lesweise wirkt das eingravierte Jahr wie „1758“ – richtig aber ist 1558, wenn ich es korrekt übersetzt habe.

Nachtrag/Ergänzung/Korrektur: 
2020 bekam ich von einer aufmerksamen Leserin des Blogs einen Hinweis, wie man die richtige Jahreszahl herausfindet. Siehe Kommentar unter diesem Beitrag.
Hier die korrekte Info über die Lebe- und Sterbedaten und die „Übersetzung“

„… Gestorben 15. Jänner 1758
Begraben am 17. Jänner 1758 in Burgschleinitz: Catharina Ramesmayerin von Zoglstorff alt 68 Jahr“

Damit sind auch meine philosophischen Ausführungen über die damalige Lebenssituation der Steinmetzmeistern obsolet, weil ein paar hundert Jährchen zu früh angesiedelt ;-)
Ich lasse es bis auf weiters aber so und werde diesen Beitrag irgendwann komplett ändern bzw. überarbeiten.

Sie war ehr- und tugendsam, so steht es auf ihrem Grab, ihr Name war Anna Catharina Ramesmayrin – und sie wird als „geweste Steinmetzmeisterin“ bezeichnet. Das war es, was mich hat stolpern lassen. Die Bezeichnung „Priestermutter“ ist für damalige Zeiten nicht unüblich – sofern der kindliche Sproß diesen Weg eingeschlagen hat. Doch eine Steinmetzmeisterin ist meines Wissens einmalig. Denn das bedeutet, dass sie einen solchen Betrieb geleitet hat, mit dem dafür nötigen Wissen und sichtlich erfolgreich, denn sonst gäbe es diesen Hinweis nicht auf ihrem Grabstein, der vielleicht sogar aus ihrem eigenen Betrieb stammt. Der Ort ihres Wirkens ist in Zogelsdorf, damals „Zogelstorff“ geschrieben.

In Zogelsdorf, im Johannes-Steinbruch, wurde der berühmte „weiße Stein von Eggenburg“ abgebaut. Ein Kalksandstein, der auch im Stephansdom und bei der Karlskirche zum Einsatz kam. Schon in der Bronzezeit wurde hier abgebaut, zuletzt dann in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, um Schäden am Kunsthistorischen Museum zu beheben. Eine Besonderheit des Eggenburger Steins, der diesen Namen der nahe gelegenen mittelalterlichen Stadt verdankt, war das Marketing, mit dem man die Verbreitung des Steinmaterials intensivierte. Der qualitativ nicht schlechtere Kalksandstein, den man im Leithagebirge abbaute, wurde als „hungarischer Stain“ bezeichnet, was damals wenig schmeichelhaft war. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, ließ Eggenburger Stein verarbeiten, vorzugsweise von denen, die nahe des Steinbruchs wohnten und ihre Kunst perfektioniert hatten. Die Blütezeit war im 17. und 18. Jahrhundert, also einige Zeit nachdem die Steinmetzmeisterin gelebt und gewirkt hat.

Im Netz findet man viel über diese Steinbrüche, die wirtschaftlichen und künstlerischen Auswirkungen und wo das Material überall verwendet wurde.
Aber man findet kaum bis nie Hinweise auf die Künstler, die Steinmetzen, die den Stein berarbeitet haben. Erst in späterer Zeit war es üblich, dass sie sich mehr in Szene setzten, ihr Werk bekannt machten, so dass man wusste, wer dahinter steckt. Zu Beginn, als unsere Meisterin ihrem Betrieb vorstand, galt das anonyme Wirken zu Lobpreisung Gottes als Ruhm genug. Das menschliche „Werkzeug“, das Hammer und Meißel führte, war ein „Gefäß“ für die göttliche Gunst, nicht mehr. In dieser Zeit waren die Steinmetzzeichen üblich: mysteriöse, geometrisches oder ornamentales, überwiegend monogrammatisches Symbole, die als Signatur einen Hinweis geben konnten, wer das Kunstwerk geschaffen hatte. Aber auch besondere Stellen, in radiästhetisch-geomantischer Hinsicht, wurden damit für Eingeweihte kenntlich gemacht. Die Symbole ähneln Runen und alten Hauszeichen und dürften mit diesen „verwandt“ sein, man findet sie auch bei älteren Kulturen. Ihre Geschichte ist gleichfalls sehr speziell.

Anna Catharina Ramesmayrin, die Steinmetzmeisterin, hat leider keine anderen Spuren in der bekannten Geschichte hinterlassen. Zumindest habe ich nichts weiter über sie gefunden. Meine Fantasie liefert hingegen mehr Material, als in ein Leben hineinpassen würde. Hat sie den Betrieb von ihrem Mann oder ihrem Vater übernommen? War sie vielleicht verwitwet, was ihr Grabstein verschweigt, auch einen Herrn Ramesmayr habe ich nicht gefunden …? War es ein großes Unternehmen, worauf der schöne Stein und die prominenten Lage hindeuten würde …? Das man ihr Ehrerbietung entgegenbrachte und sie respektierte, davon gehe ich aus. Denn auch das ist an der Lage des Grabes und dem Rundum spürbar.

Sie starb in dem Jahr, als Ferdinand I. in Aachen, als Nachfolger von Karl V., zum Kaiser gekrönt wurde. Im gleichen Jahr starb auch Maria I. von England, mit dem Beinamen „Bloody Mary“, Tochter von Heinrich VIII. und erste Königin Englands „aus eigenem Recht“. Ihren blutigen Beinamen verdankte sie der Tatsache, dass sie versuchte hatte den Katholizismus in England wieder mit Gewalt einzuführen. Ihre Nachfolgerin war Elisabeth I.
Österreich war in dieser Zeit ein Erzherzogtum des Heiligen Römischen Reiches, es ist die Zeit der Spätrenaissance, also spätes Mittelalter bzw. frühe Neuzeit. Das war auch die unglückselige Zeit der Hexenverfolgung, die zwischen 1550 und 1650 ihren Höhepunkt erreichte – was das Wirken einer Frau als Unternehmerin doppelt spannend erscheinen lässt.

Die Blütezeit der Zünfte war da gerade vorbei. Karl V. hatte um 1550 die „Zunftherrschaft“ in allen Reichsstädten abgeschafft. Frauen hatten in den Zünften wenig zu sagen. Sie waren als Familienangehörige zwar an den Leistungen beteiligt, hatten aber keine Vollmitgliedschaft. Es gab reine Frauenberufe, die wie eine Zunft organisiert waren, und es gab Zünfte, wo männliche und weibliche Berufe zusammengelegt waren – die Steinmetzen gehörten aber nicht dazu. Meist enthielten die Zunftregeln auch ein Prozedere, was beim Tod des Meisters zu geschehen hatte. Die Witwe musste innerhalb von 1-2 Jahren erneut heiraten oder sie verlor die Werkstatt. Doch fallweise war es möglich, dass die Witwe im Namen des Sohnes oder eines Nachfolgers das Geschäft bis zu dessen Mündigkeit weiter leitete. Womöglich war das auch bei Anna Catharina Ramesmayrin der Fall – wir werden es vermutlich nie erfahren.

Auch was für ein Mensch sie war, wird für immer Spekulation bleiben. Ich nehme an, dass sie eine Königin in ihrem Reich war und wußte, wie sie sich durchsetzen musste, um in damaliger Zeit als Frau einen Betrieb leiten zu können. Ich denke aber nicht, dass sie selbst zu Hammer und Meißel gegriffen hat, obwohl sie in der Kunst und im Wissen um die Verarbeitung des Steines bewandert gewesen sein muss. Man kann ein Unternehmen nur leiten, wenn man weiß, wie die Produkte hergestellt werden, was aus welchem Material möglich ist und wie man es umsetzen kann und vor allem verkaufen kann. Das erfordert zwingend tieferes Wissen rund um Bereiche, in denen man Frauen damals nicht unterrichtete, was sie sich also entweder selbst beigebracht hat, oder worin sie von ihrer Familie unterrichtet wurde. Mathematik, Lesen und Schreiben – das ist das Mindeste, was man braucht, um ein Unternehmen führen zu können. Geometrie und tiefere Kenntnisse in Geologie, Mitabeiterführung und ein großes Maß an diplomatischer Durchsetzungskraft, um als Frau in einer absoluten Männerdomäne bestehen zu können, sind hingegen Kenntnisse, die man damals als Frau nicht leicht erlangen konnte.

Ob sie glücklich war, in dem was sie tat, ob sie Kinder hatte, ein schönes, harmonisches Heim, ob sie alt wurde oder jung starb … all das ist genauso im Dunkel der Geschichte verschwunden.

Was bleibt, in Stein gemeißelt, ist ein Hinweis auf eine Frau, die sich ihren Platz erobert hat oder erobern musste. Nahe der Priestermutter, in einer Ecke der Kirchenmauer, mit einer wunderschönen Statue am Grab. Und vielleicht ist es der Blick ins Gesicht dieser Statue, der uns viel mehr über diese Frau sagen kann, als der karge, aber gewichtige Text am Grabstein bereit ist auszusagen.

Mich hat die Begegnung mit diesem Grab sehr berührt und ich denke oft an sie, vor allem im November. Womit für mich auch sofort klar war,  worüber ich schreiben wollte, als ich vom Thema der Blogaktion hörte. Ich weiß, es ist mehr Spekulation als Recherche in diesem Beitrag. Aber das darf sein im November, wenn der Nebel als Schleier zwischen den Welten die Durchgänge dünner macht. Vielleicht finden ja auf diese Weise ein paar Hinweise herüber, die uns mehr über das Leben und Wirken der „gewesten Steinmetzmeisterin“ Anna Catharina Ramesmayrin erzählen.

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