Sommersonnenwende – Mittsommer: Die Jahreskreisenergie
Teil 2 der vierteiligen Serie über das Jahreskreisfest der Sommersonnenwende, das rund um den 19./20. Juni gefeiert wird. Alle Teile sind hier zu finden: Sommersonnenwende-Litha
Nach der intensiven Wachstumsphase im April und Mai kommt mit Juni eine Zeit der Reife und Ruhe im Außen: Die Sommersonnenwende ist dabei das gespiegelte Äuquivalent zur Wintersonnenwende. Im Winter geht diese ruhende Kraft nach Innen, im Sommer zeigt sie sich als Präsenz im Außen. Zugleich ist nun die Zeit der Fülle angebrochen. Die ersten Früchte werden mit Sommerbeginn, teils schon im Mai, reif: Erdbeeren, Weichseln und Kirschen, oft auch schon erste Marillen. Die Süße dieser Früchte und ihr Reifezeitpunkt sind ein wunderbares Sinnbild für das lustvolle Gefühl der Lebensfreude, die sich in den Sommermonaten intensiv bemerkbar macht.
Die Sonnenkraft hat jetzt ihren höchsten Punkt erreicht und nimmt von nun an langsam wieder ab. Was gesät wurde, ist aufgegangen oder muss abgeschrieben werden. Es gibt wenig, was getan werden muss, aber das erfordert Achtsamkeit und bewussten Einsatz der vorhandenen Kräfte. Bei einigen Pflanzen werden nun zu üppige Triebe und Früchte zu entfernt. Ausgeizen nennt man das bei den Tomatenpflanzen. Hat die Pflanze zuviele Triebe teilt sich die Kraft sich auf alle auf, was in Summe nicht reicht um alle reifen zu lassen, bevor die Vegetationsperiode zu Ende ist. Mehr und sichereren Ertrag bekommt man, wenn man die Triebe auf ein sinnvolles Maß reduziert.
Diese Taktik kann man 1:1 in den Alltag und die Arbeit übertragen. Oft läuft man in der Hitze des Alltags Gefahr, sich im Überschwang kreativer Ideen zu verzetteln. Man beginnt viele Projekte, die alle vielversprechend aussehen – doch im Lauf der Zeit zerspragelt man sich, man wird zum „Schnittlauch auf jeder Suppe„, wie man bei uns umgangssprachlich sagt. Die Energie verteilt sich auf zu viele Baustellen und irgendwann braucht es die Einsicht, dass man nicht alle Ideen-Knospen, die man im frühlingshaften Aufbruch gezeugt hat, am Leben erhalten kann. Dann muss man ausgeizen.
Somit ist die Sommersonnenwende ein guter Zeitpunkt für einen Kassasturz: Was lohnt sich, was verspricht guten Ertrag, wo schaut es mühsam aus, was kann man nun zurücklassen?
Andererseits: Wo braucht es nun gezielte Aufmerksamkeit, Kraft und Einsatz – wo muss man düngen, damit der Plan sich gut in die nächste Phase begeben kann?
Diese Revision ist wichtig und oft schmerzhaft. Doch was man nun gehen lässt, kann im Kreislauf des Lebens als wertvoller Dünger genutzt werden. Manches steht zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf, wenn die Umstände besser sind und die Erfahrung, die man daraus gewonnen hat, ist gleichfalls eine wertvolle Ressource, im Sinne einer vorgezogenen Ernte.
Reifenlassen erfordert Kraft, Ausdauer und Mut – denn im Außen schaut es nach Nichtstun aus, im Inneren aber werden folgenschwere Entscheidungen getroffen und Weichen für die Zukunft gestellt.
Die Zeit rund um die Sommersonnenwende ist somit zugleich ein herrlich sorglose und zugleich eine ungemein sensible. Schnell kann ein Unwetter, zuviel Hitze, zuviel Tätigkeit oder Nichtstun das erhoffte Ergebnis zerstören. In der Landwirtschaft sind es reale Gewitter und die gefürchteten Hagelstürme, ein kalter oder zu heißer Juni, die für schlechte Ernten oder einen Totalausfall sorgen könnten.
Im „anderen“ Leben sind es Husch-Pfusch-Aktionen, übertriebene Fürsorge, Hektik, Nachlässigkeit, Wutanfälle und manchmal einfach Pech – die klassischen Schlechtwetterphasen des Lebens.
„Sorglos achtsam sein“ erfordert eine innere Reife, die man trainieren und sich erarbeiten kann. Abwarten und in sich ruhen, die Energie halten und behutsam lenken. Sich Zeit nehmen für Entscheidungen und diese aus der inneren Kraft heraus treffen. Gefühlvoll abwägen und dem Fluss der intensiven, gegensätzlichen Energien von Feuer und Wasser ausreichend Aufmerksamkeit schenken. So lernt man den feinen Wandel wahrzunehmen und weiß intuitiv, wann man aktiv werden muss oder wann man die Dinge besser in Ruhe lässt und überstürzte Fehler vermeidet.
Dabei gilt es gut auf sein Bauchgefühl zu hören, auf die Intuition, und sich zugleich nicht in Grübelei zu verlieren, im Sinne von:
„Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“
Fast jeder kennt dieses Zitat, dass von Goethe stammt und das er Götz von Berlichingen in den Mund legt. Der Gedanke dahinter: Gegensätze ziehen sich an – im menschlichen Bereich und in der Natur.
Zu einem Zeitpunkt, wo die Sonne am höchsten steht, also ganz besonders viel Licht da ist, müsste demnach auch besonders viel Schatten vorhanden sein. In der Natur ist das aber nicht so – die Schatten sind um die Mittagszeit am kleinsten. In der sonnigen Mittagshitze sucht man nun nach diesen raren Schattenplätzen, um der intensiven Sonne zu entgehen. Das ist gut und sinnvoll – solange man das nicht auch in den zwischenmenschlichen Bereich überträgt und man den Schatten mit Fehlern, Problemen, Schwachstellen übersetzt. Diesen Bereich spricht Goethe mit seinem Zitat an: Da muss doch wo ein Haken sein, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, da stimmt etwas nicht …
Jedes Ding hat zwei Seiten. In der Geomantie und Radiästhesie weiß man, dass zu jedem aufladenden Punkt ein abladender gehört. Die Kunst besteht darin, diese Seiten wertfrei zu akzeptieren, ohne sie über das ihnen zustehende Maß hinaus aus menschlicher, subjektiver Sicht zu bewerten.
Lustvoll satt versus überfressen
Die Reifezeit ist eine nährende Zeit der Fülle – wie oben beschrieben. Nach den langen Wintermonaten und der in früherer Zeit sehr anstrengenden Zeit des Aussäens im Frühjahr, sind nun die Vorratsspeicher wieder voll. Es gibt frisches Obst und Gemüse und auch endlich etwas Zeit, sowie ausreichend Licht und Wärme, damit man diese Naturgeschenke genießen kann.
In heutiger Zeit beginnen jetzt die Schul- und Sommerferien, die Gärten füllen sich mit Lachen und abends trifft man sich mit Familie und Freunden, um den Tag genussvoll ausklingen zu lassen.
Sommerfeste stehen auf der Tagesordnung und rund um die Sonnenwende werden Sonnwendfeuer entzündet – die uralte Form der Huldigung an unsere Sonne, die uns Kraft und Leben schenkt.
Diese Fülle ist lustvoll, bringt Kraft, Freude und macht Mut. Nicht zuletzt ist dies auch eine ungemein erotische Zeit. Die „Treffen bei den Feuern“ sind seit alters her ein Synonym für sexuelle Begegnungen, damals unter dem Segen der nährenden Sonnenmutter. Heute sind diese Hintergründe großteils vergessen, das Verlangen aber nach wie vor da – es ist eben pure Natur und lässt sich auch mit noch so intensiven Sündendrohungen nicht auslöschen. Göttin sei Dank ;-)
Doch ein Übermaß an Fülle birgt in unserer Zeit, speziell im Raum Europa und Nordamerika, die Gefahr der Unbeherrschtheit. War man in Urzeiten durch die Menge an Vorräten eingeschränkt und dem lebensnotwendigem Maßhalten, damit man auch in weniger üppigen Zeiten ausreichend zu essen hat, haben wir in unseren Breiten heute jederzeit und so gut wie überall alles in Hülle und Fülle zur Verfügung. Der genetische Code des „zur Sicherheit mal schnell alles wegfressen, wer weiß, wann ich wieder was finde“ ist uns aber noch immer einprogrammiert. Das wird auch in anderen Bereichen tragend, wo es nicht um Nahrung geht. Essen, das intensive Ausleben der Gefühle und Stimulantien lösen Glücksgefühle aus – und die sitzen im gleichen Hirnareal, wie die Sucht. Der Schritt von „gut und genussvoll“ zum „Zuviel“ ist klein, sehr leise und wird gerade in dieser intensiven, nach außen konzentrierten Zeit leicht überhört.
Umso wichtiger ist es jetzt, sich immer wieder auf dieses aktive Innehalten zu konzentrieren, Druck aus dem Geschehen zu nehmen und sich der herrschenden Aktivität voll bewusst zu sein. Damit es nicht zu einem wilden Tanz auf der Nadelspitze kommt, sondern zum bewussten Einnehmen des inneren Herrscherthrons, von dem aus man achtsam seine Entscheidungen trifft.
Dazu mehr im vierten Teil der Sommersonnwend-Serie.
Teil 1: Sommersonnenwende – Litha: Geschichte & Ursprung
Teil 2: Sommersonnenwende – Litha: Die Jahreskreisenergie
Teil 3: Sommersonnenwende – Litha: Brauchtum & Symbole
Teil 4: Sommersonnenwende – Litha: Rituale allein und in der Gruppe