Lughnasad, das Schnitterfest: die Jahreskreisenergie
Im zweiten Teil der vierteiligen Serie zum Jahreskreisfest Lughnasad geht es um die besondere Energie dieser Jahreszeit und welche Herausforderungen sich daraus ergeben.
Alle Teile der Serie sind hier zu finden: Lughnasad-Schnitterfest
Inhaltsübersicht
Es ist kompliziert
Von allen Festen im Jahreskreis ist das Schnitterfest das Fest, mit dem vermutlich die wenigsten Menschen unserer Zeit etwas anfangen können. Wenn man nicht mehr auf den Kreis der Jahreszeiten angewiesen ist, um eine Ernte, im Sinne einer Vollendung eines vorherigen Reifeprozesses, einzufahren, ist der emotionale Bezug zu einem Fest, wo es genau darum geht, sehr schwierig.
Heutzutage kommt das Brot vom Bäcker, wird fallweise an die Haustür geliefert, oder man kauft es im Supermarkt. Alles ist jederzeit und immer verfügbar, zumindest in den meisten europäischen Ländern. Auch vermittelt die Ferienzeit im Juli und August ein anderes Gefühl als das, welches stimmig zum Schnitterfest passt.
Das Summerfeeling, die Strandbar und die lockere Urlaubsstimmung haben das Bewusstsein um die Wichtigkeit von klaren Entscheidungen, die JETZT getroffen werden müssen, abgelöst. Um diese „Probleme“ – Pardon: Herausforderungen – kümmert man sich dann nach dem Urlaub. Und gerät jedesmal ins Strudeln, weil das Leben, das Jahr, die Zeit nach diesem Urlaub um ein großes Stück weitergewandert ist, ohne Rücksichtnahme auf die chilligen Summervibes.
Abgesehen davon ist die Strictness, die es braucht um eine klare Entscheidung zu treffen und die volle Verantwortung dafür zu übernehmen, für viele in heutiger Zeit zu anstrengend. Man windet sich lieber raus, überlässt anderen die unangenehmen Punkte. Auch aus Angst heraus, sich unbeliebt zumachen, die falsche Entscheidung zu treffen oder im Anschluss daran alleine dazustehen, wenn die Entscheidung aus späterer Sicht gesehen nicht die richtige war.
Fülle wahrnehmen, Grenzen setzen & Entscheidungen treffen
„Aber es passt doch von der Natur her gar nicht mehr!“ – ist auch ein Satz, der oft fällt, wenn es um das Fest der ersten Kornernte oder den Beginn der Kräuterweihzeit geht.
„Warum feiert man den Beginn der Ernte Anfang August, wenn man doch schon lange im Juni damit begonnen hat?!“
Das klingt einleuchtend. Allerdings geht es im ursprünglichen Sinn gar nicht darum den Beginn der Ernte zu feiern – der wird nach phenologischen Kriterien getroffen, im Sinne von: Man erntet dann, wenn das Erntegut reif ist und das ist nun mal überall zu einem anderen Zeitpunkt der Fall.
Es geht darum die Fülle, die gewachsen und gereift ist, wahrzunehmen, zu ehren und zu spüren, das es eine klare, bewusste und selbstverantwortliche Entscheidung FÜR etwas braucht und man nun von der Jahreskeisqualität her im Treffen dieser Entscheidung energetisch unterstützt wird.
- Ernten oder noch ein paar Tage stehen lassen?
- Zusagen oder das Angebot ablehnen?
- Das Projekt abschließen oder noch weitere Recherchen, Untersuchungen, Arbeitsstunden investieren?
- Die Beziehung beibehalten oder sich trennen?
- Weiter in der Wohnung bleiben oder in ein Haus ziehen?
- Schwarz oder weiß?
- Ja oder nein?
- 1 oder 0?
Es ist eine digitale Zeit, ohne Grauzonen, ohne vielleicht, ohne möglicherweise, ohne „unter Umständen“, ohne Konjunktiv – es gibt nur ein Ja oder ein Nein und nichts dazwischen. Wenn es um Abschlüsse, um Ernten, um Entscheidungen geht, braucht es genau das. Man kann ja auch nicht ein bisschen schwanger sein, ein wenig tot, zur Hälfte wo hinunter springen (und am halben Weg umdrehen) oder halb lebendig sein.
Wer sich weigert eine Entscheidung zu treffen, bleibt stehen und blockiert – andere, den Fluss des Lebens, sich selbst, die Natur. Staumauern haben es nie leicht und müssen viel aushalten. Sich hingegen bewusst für etwas zu entscheiden, egal was das ist, öffnet Wege und sorgt dafür, dass sich das Rad weiterdreht. Zugleich ist es eine echte Anerkennung dessen, was zuvor geleistet wurde – man bringt es nun zum Abschluss.
Gleichzeitig geht es auch darum, die eigenen Grenzen und die der Umgebung wieder bewusst wahrzunehmen – und auch zu überprüfen:
- Passen sie noch, oder hat man sich selbst eingeschränkt und beengt? Wachstum braucht Freiraum, aber auch Struktur – Grenzen bieten beides, müssen aber immer wieder nachjustiert und überprüft werden.
- Werden die Grenzen von anderen überschritten? Mit Absicht oder „zufällig“? In letzterem Fall ist es vielleicht der mehr oder weniger sanfte Tritt des Schicksals, im Sinne einer Aufforderung, sich um diese „Baustelle“ zu kümmern.
- Ist man selbst ein Grenzgänger, der es immer wieder wissen will und versucht bei anderen „Raum“ zu gewinnen? Dann wäre es an der Zeit, vor der eigenen Tür zu kehren und sich mit dem eigenen Raum und den Gründen für die Expansionsgelüste auseinanderzusetzen.
Bist du dir deines Raumes bewusst, bist du in deiner Mitte, dann hast du ausreichend Platz um dich mit Entscheidungsprozessen auseinanderzusetzen.
Die Jahreskreisenergie rund um Lughnasad – das Schnitterfest, unterstützt diese Prozesse nicht nur, sie fordert sie auch gezielt heraus. Wenn du dich also nicht entscheiden willst, deine Grenzen und deinem Mitte wackeln, dann wird die Entscheidung für dich getroffen und du wirst mitgerissen – in einen Weg, den du vielleicht so gar nicht hast nehmen wollen.
Es geht auch nicht darum, ob eine Entscheidung richtig oder falsch sein wird – das weiß man oft erst danach. Im Augenblick der Entscheidung kann man nur nach dem entscheiden, was man JETZT weiß, was man JETZT als richtig wahrnimmt, was einem JETZT sinnvoll erscheint. Möglicherweise ergibt sich morgen etwas Neues, die Faktoren ändern sich, neue Erkenntnisse tauchen auf und die gestern getroffene Entscheidung erscheint in diesem Licht anders. Aber HEUTE musst du dich entscheiden, damit es überhaupt ein Morgen gibt.
Das ist es, was dieses Jahreskreisfest so besonders, einzigartig und kompliziert macht. So sehr, dass es in unserer heutigen Zeit übergangen und ignoriert wird – sofern man es überhaupt noch kennt. Wir sind eine Gesellschaft geworden, die zwar ganz genau weiß, was andere falsch machen und immer wissen, wie man es an Stelle eines anderen besser gemacht hätte (=Konjunktiv!). Aber wenn es darum geht selbst Verantwortung für etwas zu übernehmen, sich zu exponieren und den Weg vorzugeben, kneifen die meisten den vor x-tausend Jahren abgelegten Affenschwanz ein und machen sich unsichtbar. Man könnte sich ja unbeliebt machen und dann mit den Konsequenzen der Entscheidung leben müssen.
Sorry to say: Wer wirklich erwachsen werden will, wer wirklich ein aktiver, selbstbestimmter Mensch sein möchte, der muss irgendwann lernen, wie man solche Entscheidungen trifft und dazu steht.
Denn das ist Lughnasad – die Hochzeit des Lichts, wo du dich für ja oder nein entscheiden musst.
Das ist das Schnitterfest, wo man diese Entscheidung nicht nur trifft, sondern sie im Kreis der Gemeinschaft vertritt, feiert und mit allen Sinnen dahinter steht.
Das ist Lammas – das Fest des ersten, des gesegneten Brotes, aus dem neuen Getreide. Eine Belohnung dafür sich entschieden zu haben, das reife Getreide zu ernten.
Die Kehrseite dieser Kraft ist der Machtmissbrauch – die Pervertierung der Entscheidungsgewalt auf Kosten anderer: Überzogene Machtansprüche, Verschwendung, Herrscherallüren, „der Staat bin ich“-Gehabe und starres Beharren auf Führungsansprüchen, zum eigenen Nutzen, unter bewusster Missachtung der Grenzen anderer. Auch das ist ein starres Verhalten: das Beharren auf dem Standpunkt alles besser zu wissen und den eigenen Willen auf Teufel komm raus durchzusetzen.
Erwachsenwerden & Raum einnehmen
Astrologisch ist es die Zeit des Löwen – was zum Thema des Festes passt: es geht darum selbstbewusste Verantwortung und Führung für seine Handlungen zu übernehmen. Kraft und Stärke sind nun da und wollen maßvoll und umsichtig, zum Wohle aller, genutzt werden.
Umgelegt auf die menschliche Entwicklung steht dieses Jahreskreisfest für die Zeit um das ~50. Lebensjahr. Es ist der Höhepunkt der Ausstrahlung, Kompetenz & Autorität. Wir sind gefordert den Platz, den wir uns im Leben geschaffen haben, einzunehmen. Dafür braucht es Erfahrung und Klarsicht auf das was ist und was kommt, aber auch gerechte Selbsteinschätzung:
Wer bin ich, was habe ich, was tue ich?
In Unternehmen ist nun die beste Zeit für Projektabschlüsse, um Entscheidungen zu treffen, eine reflektierende Fehlerkultur zu entwickeln – denn auch Fehler und Fehlentscheidungen sind wertvolle Ernteprodukte und helfen bei der Entwicklung. Es gilt die Essenz in den erfolgen Handlungen wahrzunehmen und im Sinne einer Rückbindung ins Unternehmensgeschehen zu integrieren. Vereinfacht ausgedrückt: Die gewonnenen Erfahrungen und Entscheidungen objektiv zu analysieren und daraus für die Zukunft zu lernen.
In der Natur beginnen die Bäume jetzt mit dem Rückzug, sie stellen das Wachstum ein und bereiten sich schon jetzt langsam auf den Winter vor. Auch das Licht hat sich bereits leicht gewandelt, es wird goldener. Die Tage sind am kürzer werden, aber dennoch kann es noch sehr heiß werden. Nun kommen die sog.
Hundstage: die heißesten Tage des Jahres verdanken ihren Namen dem Aufgehen des Sirius, dem Hundsstern (Alpha Canis Majoris), der nun morgens am Firmament zu sehen ist.
Mondfeste – Sonnenfeste
Im Jahreskreis gibt es vier Sonnen- und vier Mondfeste. Der Zeitpunkt der Sonnenfeste ist klar und einleuchtend, denn sie orientieren sich exakt am Lauf der Sonne: Die Tag- und Nachtgleiche im Herbst und im Frühling, sowie die beiden Sonnenwenden. In diesem Sinne kann man auch sagen, dass die Zeitpunkte von „oben“ oder außen – durch den Lauf der Sonne – fix vorgegeben sind.
Dazu passt auch stimmig der energetische Aspekt, wo alles, was mit der Sonne zu tun hat, sich nach und im Außen orientiert. Entscheidungen können daher leichter an dem festgemacht werden, was von außen erkennbar ist. Sonnenfeste und die damit verbundenen Qualitäten sind eher extrovertiert.
Bei den Mondfesten hingegen geht es darum, sich an dem zu orientieren, was intuitiv, im Inneren spürbar ist. Energetisch ist es das Unterbewusste, die Anderswelt, die Ahnen, die eigenen Emotionen und inneren Erfahrungen, die man als Entscheidungshilfe zur Verfügung hat. Man muss das, was nun Thema ist und ebenso den genauen Zeitpunkt dafür, in sich finden und spüren.
Sind die Sonnenfeste ein nach außen gerichtetes Feiern, fordern die Mondfeste die intensive Wahrnehmung nach Innen und sind somit eher introvertiert. Mit ein Grund, warum sie in der heutigen Zeit vielen zu komplex erscheinen. Die Auseinandersetzung mit dem Unterbewussten, mit dem Inneren, dem Dunklen und nicht Greifbaren ist etwas, das man zunehmend nur mit psychologischer Unterstützung in Angriff zu nehmen wagt. Sich der eigenen Dunkelheit auszuliefern erfordert Mut – denn in dieser Dunkelheit begegnet man möglicherweise sich selbst, seinen Schattenseiten, den dunklen Stellen … die man so gerne weg sperrt und nicht wahrnehmen mag.
Dabei vergisst man allerdings, dass man es selbst in der Hand hat, wie es in diesem Inneren ausschaut, dass man auch hier Licht ins Dunkel bringen und Ordnung schaffen kann – wenn man den Mut hat, die Tür zu diesem Ort zu öffnen.
Mondfeste fordern dazu auf, sich diesem Ort zu stellen, sich über das, was man im Inneren will, was man von sich heraus braucht, klar zu werden und mit der Kraft aus diesem Unterbewusstsein den Standpunkt im Außen einzunehmen, entsprechend dem, was nun laut Jahreskreis zu tun ist.
Es gibt dabei kaum Orientierung von Außen, kein strahlendes Licht, dass einem die Entscheidung abnimmt. Womit auch klar wird, warum es sich bei den Gottheiten, die man zu den Mondfesten verehrt hat, meist um die „komplexeren“, vielleicht sogar dunkleren handelt und es so gut wie immer auch um die damit verbundenen Emotionen geht.
Mondfeste sind komplex, intuitiv, introvertiert und für uns moderne Menschen schwer greifbar. Aber die Fülle an Geschenken, tiefen Erkenntnissen und innerer Sicherheit, die man beim bewussten Feiern dieser Feste erleben kann, macht es auch in heutiger Zeit mehr als wert, sich der Herausforderung zu stellen. Man kann hier nur gewinnen.
Alle Teile der Serie zu Lughnasad – das Schnitterfest:
Teil 1: Lughnasad, das Schnitterfest: Geschichte & Ursprung
Teil 2: Lughnasad, das Schnitterfest: Die Jahreskreisenergie
Teil 3: Lughnasad, das Schnitterfest:: Brauchtum & Symbole
Teil 4: Lughnasad, das Schnitterfest: Rituale allein und in der Gruppe