Der Kastanienhain von Liebing – ein Kraftplatz zwischen Mythos, Messwerten und eigenem Erleben

Es gibt Orte, die wirken schon beim ersten Schritt besonders. Einer davon ist der Kastanienhain von Liebing im Burgenland – eine Ansammlung alter Edelkastanien, die seit Generationen Menschen anzieht. Wer durch das Tor aus Feldern und Hügeln tritt, spürt: Hier ist etwas anders. Was genau, erschließt sich erst, wenn man tiefer in den Ort eintaucht.

Ein Hain voller Baumriesen

Der Liebinger Hain besteht aus mehreren Dutzend Edelkastanien. Manche stehen wie uralte Wächter mit Stammumfängen, die man kaum umfassen kann. Andere sind längst abgestorben, stehen aber als eindrucksvolle Gerippe noch immer im Gefüge des Ortes. Der Kreislauf des Lebens ist sichtbar: Werden, Wachsen, Vergehen.

Besonders eindrucksvoll ist eine hohle Kastanie, in deren Stamm man sich hineinstellen kann. Mir war an diesem Tag nicht danach, meine Begleiterin empfand den Aufenthalt im Baum jedoch als stärkend und erdend. Solche Unterschiede zeigen, wie individuell die Wirkung eines Ortes sein kann – und dass jede:r eingeladen ist, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen.

Zwischen Schildern und eigenem Spüren

Im Hain finden sich mehrere Hinweistafeln, die mit außergewöhnlich hohen Bovis-Werten werben und auf eine „energetische Aktivierung“ bestimmter Punkte hinweisen. In den 1990er- und 2000er-Jahren war es Mode, Kraftplätze durch Schilder, Plattformen oder gar künstlich errichtete Steinkreise „aufzuwerten“. Oft ging dabei mehr verloren, als gewonnen wurde. Denn die ursprüngliche Qualität eines Ortes lebt von seiner Authentizität.

Ein kleiner, aber wichtiger Exkurs

Radiästhetisch Interessierte kennen die Bovis-Skala als Hilfsmittel zur Einschätzung der energetischen Qualität eines Ortes. Sie wird meist im Bereich 0–10.000 angegeben und historisch mit der physikalischen Maßeinheit Ångström in Verbindung gebracht. Genormt ist sie jedoch nicht – und umstritten ist sie auch. Ergebnisse hängen davon ab, wer misst, wann gemessen wurde und wie man interpretiert.

Mit der gesellschaftlichen „mehr-ist-mehr“-Logik hat sich die Fehlannahme verbreitet, je höher die Bovis-Werte, desto „besser“ der Platz; umgekehrt seien niedrigere Werte „schlechter“. Das ist grundfalsch. Die Skala dient lediglich dazu, Qualitäten einzuordnen: eher abziehend oder eher aufladend – beides ist weder gut noch schlecht.

Wir Menschen gelten als Strahlenflüchter und fühlen uns auf neutralen Plätzen am wohlsten – grob zwischen 6.000 und 7.000 Bovis. Das gilt besonders für Schlafplätze bzw. Orte längeren Aufenthalts. Unter 6.000 (abziehend) nimmt uns der Platz beim Ruhen Energie; über 7.000 (aufladend) kommen wir schlecht zur Ruhe – innerlich müde, vegetativ jedoch überdreht.

Plätze mit niedrigeren oder höheren Werten sind dennoch nicht „schlecht“. Es kommt immer auf die Dauer und das aktuelle Befinden an: Was brauche ich jetzt?
Bin ich überdreht, hilft ein mild abziehender Platz. Fühle ich mich ausgelaugt, kann ein aufladender Ort gut tun. In beiden Fällen zählt das Maß: Zu lange am abziehenden Ort – ich habe zu viel „abgeladen“. Zu lange am aufladenden Platz – mein System reagiert mit Stresssymptomen (Schwindel, Kopfschmerz, Überdrehtsein bis hin zu Kreislaufproblemen). Auf Dauer kann ein Übermaß belasten, auch wenn es im ersten Moment belebend wirkt. Mehr ist also nicht besser. Entscheidend ist nicht die Zahl auf einem Schild, sondern wie der Ort mich in diesem Moment beeinflusst.

Authentizität statt Inszenierung

Im Kastanienhain von Liebing wurden laut Aushang Werte im sechsstelligen Bereich gemutet, zwischen 150.000 und 300.000 Bovis – höher als manche Angaben zu großen gotischen Kathedralen. Ohne Referenzen wirkt das unglaubwürdig und bedient das „Mehr-ist-besser“-Prinzip. Hinzu kommt: Solch hohe Einflüsse sind auch für Edelkastanien nicht optimal, denn sie gelten – wie wir Menschen – als Strahlenflüchter.

Bäume haben im Laufe der Evolution Strategien entwickelt, um mit suboptimalen Plätzen auszukommen. Anders als wir können sie nicht einfach aufstehen und gehen. Wasserreiser, Misteln, extreme Wuchsformen, Zwieselwuchs, Gittermuster in der Rinde (sog. Opus spicatum) u. a. sind mögliche Reaktionen.

In Liebing fällt der starke Wuchs vieler Bäume auf – gewaltige Baumpersönlichkeiten, oft mit mehreren Stämmen. Zugleich sind viele Exemplare dürr: Überall finden sich tote Stämme, manche am Boden, andere ragen noch in die Luft. Der Platz strahlt dennoch viel Kraft aus – wir haben hier eindeutig eine ausgeprägte Wachstumszone. Auffallend viele Wasseradern sind gut erkennbar: Maulwurfshügel und andere Wasserzeiger wie Brennnesseln (typisch eher für abziehende Orte).

Auf den ersten Blick wirkt das widersprüchlich:

  • Mächtige Baumriesen → Wachstumszone, aufladende Ortsqualität
  • Viele Wasseradern, Maulwurfshügel, Brennnesseln → abziehende Ortsqualität

Erklärbar wird es durch eine Verwerfungszone. Man kann sie sich wie ein aufgefächertes Buch vorstellen: ein „Blatt“ aufladend, das nächste abziehend – und so fort. Kombiniert mit Wasser ergibt sich eine wasserführende Verwerfung. So kann eine scheinbar widersprüchliche Flora entstehen, in der abziehende und stark aufladende Streifen unmittelbar nebeneinander liegen.

Energetisch finden sich also sowohl stark aufladende Zonen als auch abziehende Bereiche. Genau dieses Wechselspiel macht einen gesunden Kraftplatz aus – wie überall in der Natur braucht es Plus und Minus, Geben und Nehmen.

Die majestätische Präsenz der alten Baumriesen stiftet zusätzlich eine sanfte Grundruhe, die die Gegensätze harmonisiert. Zur Mystik trägt bei, dass wenig über die Geschichte des Ortes gesichert ist: Wie alt sind die Bäume? Wurden sie gepflanzt oder wachsen sie wild? Gab es vorgeschichtliche Kultstätten? Letzteres ließe sich radiästhetisch/geomantisch zumindest energetisch erforschen.

Unabhängig von proklamierten Bovis-Werten, Marketing und Hinweisen gilt: Der Kastanienhain bei Liebing ist spannend – und nicht nur für radiästhetisch und geomantisch Tätige hochinteressant.

Fazit: Ein Ort zum eigenen Erleben

Wer den Hain besucht, sollte weniger auf Schilder achten, sondern bewusst nach innen lauschen: Fühle ich mich hier wohl? Tut mir der Aufenthalt gut? Welcher Baum zieht mich an – und welcher Platz sagt mir heute nicht zu?

So wird der Besuch zu einer persönlichen Erfahrung, die mehr aussagt als jede Zahl. Der Hain lädt dazu ein, die Natur in ihrer ganzen Fülle zu sehen: Wachstum und Vergehen, Aufladung und Entspannung, Leichtigkeit und Schwere. Gerade diese Vielfalt macht ihn zu einem lohnenden Ziel – nicht nur für Radiästhesie-Interessierte, sondern für alle, die Naturkräfte bewusst erleben möchten.

Exkurs: Die Edelkastanie in Österreich

Die Edelkastanie (Castanea sativa) ist in Mitteleuropa selten geworden, hat aber eine lange Geschichte. Im Burgenland gilt sie als „südlicher Gast“, der begünstigte Lagen braucht. Zum Liebinger Hain kursieren unterschiedliche Theorien: Manche vermuten, dass einzelne Bäume bereits bis zu 700 Jahre alt sind. Andere führen die Pflanzung auf Maria Theresia zurück, die im 18. Jahrhundert Kastanienbäume als Nahrungsquelle fördern ließ. Heute sind die mächtigen Bäume botanisch wie kulturhistorisch bedeutsam – Natur- und Menschheitsgeschichte greifen hier ineinander. Das Sammeln der Früchte im Hain ist übrigens strikt verboten.

P.S.: Herzlichen Dank an Sabine, die uns diesen Platz schon vor Jahren empfohlen hat! Heuer hat es endlich gepasst und er ist so toll, wie beschrieben.

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