Modern times am Schöckl: Ein mystischer Berg in moderner Inszenierung
Im Herbst zeigt sich die Natur in ihr ureigensten Pracht – das bedeutet auch: Ideales Ausflugs- und Wanderwetter. Das haben wir für einen spontanen Besuch in der Steiermark genutzt und haben unter anderem dem sagenumwobenen Schöckl einen Besuch abgestattet.
Der 1.445m hohe Schöckl ist bekannt als DER heilige Berg von Graz, angeblicher Sitz der Schöcklhexen und Wettermacher der Umgebung. Heute dienen die gefürchteten Hexen dem Marketing, am Berg sind zwei gewaltige Sendeanlagen installiert, hinzu kommt ein touristisches Ausflugsziel mit Weitblick, Trailpark und Sommerrodelbahn – Pardon: Hexenexpress.
Wir sind an einem zauberhaften Oktobertag mit der Gondel hinauf gefahren, haben den sanften Weitblick bewundert, den Schneeberg mal von einer anderen Seite gesehen und uns dann auf die Suche nach den alten Mythen des Ortes begeben. Doch die alte Magie dieses Berges, der Ursprung so vieler Sagen ist, ist am Plateau oben kaum noch zu greifen. Zu präsent und intensiv sind die beiden Sender. Der größere der beiden ist 100m hoch und sendet seit 1956 Radio- und Fernsehprogramm in die südliche Steiermark, das Südburgenland und darüber hinaus. Die Schöcklhexen hätten damit eine enorme Reichweite für ihre Botschaften, sofern sie noch Zeit und Interesse daran haben.
Die Zeiten ändern nicht nur die Prioritäten der Gesellschaften. Auch die Orte verändern sich mit uns und bekommen einen neuen Schwerpunkt. Die alten Geschichten wandern ins Archiv, Stichwort Folklore. Man holt sie nur noch zum Erinnern an frühere Zeiten heraus.
Der Mensch verändert seine Umwelt in einem Ausmaß, dessen Folgen erst in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in aller Bandbreite erkennbar sein werden. Neben der gewaltigen Veränderung für Klima und Umwelt, verändern wir auch zunehmend unsere Wahrnehmung, unsere Geschichte(n), unser Empfinden für die Plätze und den Bezug zu diesen. Zwar ist die intuitive Verbundenheit mit den Orten und der Natur, in der wir leben, nach wie vor vorhanden. Aber sie wird bewusst kaum noch wahrgenommen und immer seltener wertgeschätzt. Es gilt als antikes Relikt und wird auch immer wieder als Belastung gesehen, hauptsächlich weil man verlernt hat diese Empfindungen richtig einzuordnen und als natürliches Wesensmerkmal zu verstehen.
Der Kopf bestimmt, was zu sein hat und was zu tun ist. Die Logik, eine strikte und klare Kraft, die nur schwarz-weiß kennt, beschneidet die Intuition und zwingt das, was man mit dem Verstand nicht begreifen kann, in eine Form, die möglicherweise praktisch für „Wissenschaft“ ist. Aber sich zugleich immer weiter weg von dem bewegt, was als natürlich und lebendig, als stimmig und verbunden anfühlt.
Damit kastrieren wir unsere Wahrnehmung immer mehr, leugnen jede Intuition, negieren das Bauchgefühl, alles zugunsten „logischer“ Argumente. Damit unterdrücken wir auch die spielerische Kreativität und verlieren immer mehr das Gefühl für unsere Wurzeln. Doch Erdung ist ein wichtiger Teil im energetischen Gefüge und sogar in der Physik und Elektrotechnik ein Fixpunkt, mit der man ein Zuviel an Spannung abbauen kann, damit kein Kurzschluss entsteht oder Schlimmeres.
Der Schöckl steht hier seit Jahrmillionen und wird auch dann noch hier stehen, wenn das Experiment „Mensch“ der Vergangenheit angehört. Er braucht uns nicht. Ebensowenig die anderen Plätze, die unseren Ahnen heilig waren und die aus keinem anderen Grund verehrt wurden, als dem, dass man ihnen Dankbarkeit bezeugte für die Kraft, Unterstützung und Verbundheit, die man an diesen Orten erleben konnte.
Irgendwann hat der Kopf das Denken über das Fühlen gestellt – vielleicht weil es so einfacher, besser regulierbar und besser reproduzierbar geworden ist? Spricht man heute von Kraftorten, besonderen Ortsqualitäten und -energien, landet man in Nullkommanix im „esoterischen Eck“, wo man auch schon das spirituelle Fühlen und alles andere hinstellt, das man heute (noch) nicht mit Wissenschaft nachvollziehen, beweisen und erklären kann.
Der Schöckl ist ein wunderbares Beispiel dafür. Die Sender oben sind essentiell wichtig für unsere heutige Gesellschaft. Ein technischer Fakt, ohne dem es einfach nicht mehr geht.
Doch die Sehnsucht nach unserem archaischen Naturempfinden ist dennoch vorhanden. Die Inszenierung vor Ort ist nichts anders als der Versuch, diese unbenannte, großteils verkannte Sehnsucht zu befrieden. Der Blick ins Tal, der Parkour, die Wandermöglichkeiten, Aussichtsplattformen und alles andere, was den Besuch am Berg zu einem Erlebnis macht, sind eine moderne Taktit Natur und Berg neu zu interpretieren. Es muss optimiert werden, weil wir das eben so gewohnt sind. Ein Versuch, die Perfektion der Natur nochmal zu toppen, das Perfekte perfekter zu machen.
Dabei reicht ein Wildpfad als Wegvorschlag, ein Stein als Bank, ein Blick von oben nach unten, an einem schönen Tag, damit im Menscheninneren eine „App“ anspringt, die eine besondere Energie liefert, anstatt interne Batterien zu verbrauchen. Bei Nutzung werden kostbare Schätze „freigeschaltet“, die nur darauf warten wieder aktiv werden zu können: Phantasie, Rückbindung, Erdung, Ruhe, die Sicherheit der Weite, des Getragen werdens, und die Gewissheit, dass man seinen ureigensten Platz gefunden hat, der energetisch sicher bis zum nächsten Ruhepunkt begleitet.
Das Aktivieren dieser uralten App klappt auch heute noch, wenn man es zulässt. Sie ist auch nicht veraltet, braucht kein Update. Man muss nur den geistigen Speicher, der voll beladen ist mit „Modern life“, Insta-Hype und der Jagd nach dem nächsten Like, einmal grundlegend löschen. Das Gefühl, das man etwas verpasst, wenn man sich aus diesem Social-Dasein ausklinkt, ist anfangs ein wenig verstörend. Aber es wird rasch kleiner und irgendwann merkt man, dass es nur aus einer Gewohnheit heraus da war, keine natürliche, nährende Wichtigkeit hat, keine Wurzelkraft bereit hält.
Dann hat diese uralte, weise App in uns wieder genug Raum, um aktiv zu werden und die Wahrnehmung dessen zu wecken, für das wir in unserem Herzen seit ewig eine Sehnsucht tragen, die wir nur in Kontakt mit der Natur, ihrer Kraft, ihren Schönheiten und ihrer umfassenden, alles durchdringenden Präsenz stillen können.
Einfach da sein, still sitzen, die Weite genießen, den Blick am Horizont versickern lassen. Nichts müssen, nichts sollen, nichts posten oder liken wollen, einfach nur ganz und gar DA sein und dem Kopf Urlaub geben, damit das interne System ein heilsames Update aus der Kraft des Ortes ziehen kann – die Rückbindung geschehen lassen.
Das geht auch heute noch, auch am Schöckl, trotz Riesensendern, Inszenierung und aller Ausflugsgimnicks, trotz touristischer Trampelpfade und Freizeitgejohle. Es braucht ein paar Schritte weg vom Mainstream, eine Hinwendung zu dieser Qualität, zart wie eine kaum ausgesprochene Einladung, und den Willen der Logik, dem Verstand, eine wohlverdiente Pause zu geben, damit das Bauchgefühl wieder bewusst spürbar wird.
Vielleicht probierst du es mal aus heute, morgen, oder nächste Woche. Bei dir ums Eck, im Wald, am Schöckl oder einem anderen Ort. Und vielleicht magst du mir davon erzählen, wie es dir ergangen ist. In den Kommentaren ist Platz für dein Erleben und deine Ergänzungen!