Brauchen wir heutzutage noch Jahreskreisfeste?
Ein intensiver, wilder und sehr gemischter Sommer geht zu Ende. Das Wetterangebot hatte wirklich alles drauf: Gluthitze, extreme Schwüle, sanfter Landregen, brutale Gewitter und Hagelstürme. Manchmal alles davon innerhalb weniger Tagen oder gar Stunden.
Es war heiß, kalt, schwül, trocken, waschelnass und die Empfindungen dazu schwanktem im ähnlichen Extrem. Mühsam und anstrengend auf der einen Seite. Herausfordernd und schmerzhaft zukunftsweisend auf der anderen. Erholung kam nur zwischendurch.
Und nun ist der Herbst greifbar da. In meinem Garten liegen die ersten Blätter am Boden. In den Hochbeeten reifen zur gleichen Zeit noch die Tomaten und Zucchini und fallweise gibt es sogar noch Erdbeeren. Die meisten Kräuter sind vorbei, aber einige haben gerade jetzt ihre Zeit. Es ist eine wechselhafte Zwischenzeit, zwischen dem Erntefest Lughansad, der Kräuterweihe bzw. dem Schnitterfest, und dem Erntedank zur Tag- und Nachtgleiche im September.
Alles dreht sich nun um die Ernte: Beginn, Hochzeit, Nachernten und schlussendlich das Feiern dieser Ernte.
Aber wen interessiert das heute noch?
Ist so eine Terminologie überhaupt noch zeitgemäß?
Diese Jahreskreisfeiste – Brauchen wir die?
Wo ist der Sinn der Feste, wenn der Hintergrund nicht mehr da ist?
Die wenigsten von uns säen Samen aus, um etwas zu ernten. Die meisten von uns sind in Kopfberufen tätig. Geistesarbeit, nennt man das. Obwohl man auch beim Anbauen seinen Geist nutzt (… oder zumindest nutzen sollte).
Die physische Arbeit mit Schaufel, Rechen, Erde und dergleichen ist in unseren Breiten bis auf wenige Ausnahmen zu einem Hobby geworden. Es gibt noch Landwirtschaft bei uns. Aber im Grund genommen sind wir als Nation kaum mehr wirklich alle Menschen im Land mit dem zu ernähren, was hier angebaut wird. Das gleiche gilt nebenbei bemerkt auch für andere produzierende Bereiche. Würden wir uns nur mit dem kleiden, was in unserem Land produziert wird, dann wären die Kleiderkästen sehr minimalistisch. Aber vielleicht wäre dann die Wertschätzung für Kleidung (und Nahrung) wieder höher und der Wille, die Kleidung auch wirklich „aufzutragen“ größer bzw. die Vorräte sorgsam zu verwenden.
Wenn wir keine Bauern, keine Gärtner, keine ProduzentInnen sind, kann man dann nicht zu Recht argumentieren, dass die alten Jahreskreisfeste sich überlebt haben? Brauchen wir eine neue Jahreseinteilung? Oder stehen wir als „hochwissenschaftliche“, primär in Kopfberufen Tätige nicht schon zur Gänze über der Natur und ihrem Milliarden Jahre alten Zyklus?
Wir haben uns zwar geistig von diesem Rhythmus entfernt haben, aber ich bin davon überzeugt, dass er aber nach wie vor in uns schwingt. Mag sein, dass wir nicht mehr selbst ernten. Aber wir essen die Früchte, das Getreide, das andere für uns einsammeln. Wir konsumieren die Ernte, auch wenn wir sie nicht mehr segnen. Wir verbrauchen natürliche Ressourcen, auch wenn wir ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenken. Unser Lebenszyklus mag um vieles länger sein, als der unserer Vorfahren vor 2-300 Jahren. Doch Industrialisierung und moderner Lebensstil haben unseren Biorhtythmus nur unwesentlich beeinflusst. Ein Lebewesen, dass einen Stoffwechsel hat, muss Stoff haben zum Stoffwechseln. Und der entsteht nicht am Computer oder beim Brainstormen, im Monday-Morning-Meeting.
Wer isst und atmet, lebt nach wie vor im Jahreskreis – auch wenn das für moderne, aufgeklärte, wirtschaftlich durchgetaktete Menschen kaum vorstellbar ist. Der Tag- und Nachtrhythmus ist nach wie vor in uns und bestimmt, dass wir schlafen müssen, wenn wir wach und auf aufmerksam sein wollen. Auch wenn der Schlaf in unserer Zeit als fades Nichtstun und unproduktiv angesehen ist: Keinem Menschen würde einfallen ihn komplett auszulassen – weil „modern“ und nicht mehr nötig. Es leuchtet dem intensivsten Workaholic ein, dass zumindest ein paar Stunden Ruhe notwendig sind.
Noch weniger Menschen würden auf das Ausatmen verzichten. Denn ohne gibt es auch kein Einatmen und damit wäre innerhalb sehr kurzer Zeit ein buchstäbliches Dead End erreicht. Und daran, dass man das Zusammenziehen des Herzmuskels verhindert, weil das Ausdehnen ja genug ist, denkt (hoffentlich) auch niemand.
All das sind Zyklen, seit Jahrmillionen in uns eingespeichert. Sie gelten als Vitalfunktionen und sagen der modernen Medizin, dass man lebt.
Aber der große, uns alle umfassende Jahreszyklus – der gilt als überaltet, sinnlos, romantisch, esoterisch oder gar kindisch. Eh nett, wenn man sich damit befasst. Aber für uns moderne MitteleuropäerInnen hat das keinen Nutzen mehr. Die traditionellen Feiern werden als Folklore abgehalten oder sind im Kirchenkalender festgelegt. In der Regel sind es seelenlose Feiern, die man in manchen Gegenden für die Touristen abhält. Oder gelten als esoterischen Zusammenkünfte von Neo-Hippies, die auf religiöser Natur-Heil-Sinn-Suche sind.
Schade. Und sehr dumm, weil sehr kurz gedacht.
Es tut weh, wenn Feste sterben, weil der Sinn nicht mehr gelebt wird oder nicht mehr bekannt ist.
Es tut aber nicht den Festen weh, sondern denen, die sie nicht mehr feiern.
Es tut auch nicht nur dem Einzelnen weh, sondern der gesamten Gemeinschaft.
Dieser Schmerz über den Verlust der Angebundenheit bzw. das Eingebundsein in ein großes, harmonisches Ganzes, ist kein Phantomscherz oder Einbildung. Es ist auch nicht das unbewusste Gefühl, dass da etwas war, was da sein sollte und nun nicht mehr da ist. Und es ist anders als bei einem Erlebnis, dass man verpasst hat und wo man nicht weiß, was man verpasst hat. Der der Verlust der Feste ist eine Verletzung uralter Instinkte und Bedürfnisse.
Der tiefere Sinn
Die Feste im Jahreskreis dienen der Verbindung. Zum einen untereinander, als Zusammenkunft der Gemeinschaft: Zum Austauch und zum Bewusstwerden, dass man mehr ist als ein einzelner, lebender Körper, der an einem ergonomischen Schreibtisch sitzt und Energie verbraucht, um Energie zu bekommen. Zum anderen verbinden die Feste uns mit dem großen, alles umfassenden Lebenszyklus aus Werden, Wachsen und Vergehen. Die Feste erinnern uns an den Beginn, an das Jetzt, an das was war und das, was unaufhaltsam kommt. In diesem Zyklus hat alles seinen Platz. Er umfasst uns, auch wenn wir uns dessen nicht mehr bewusst sind oder bewusst sein wollen. Diese Verbindung geht weit über das organische hinaus und ist deshalb lebenswichtig für Körper, Geist und Seele. Eine Nahrung, ohne die man unbewusst, auf nicht körperlicher Ebene, verhungert.
Diese Verbindung existiert seit Menschengedenken und schon lange davor und wird noch existieren, wenn wir Menschen uns schon lange keine Gedanken mehr über Sinn und Unsinn machen. Diese Verbindung braucht die Feste nicht, um da zu sein. Die Feste sind vielmehr UNSERE Möglichkeit, uns dieser Verbindung bewusst zu werden und sie zu aktivieren.
Eine Freundin hat es einmal sehr treffend gemeint:
„Man kann auch an einem windstillen Tag Drachen steigen lassen.
Aber mehr Erfolg wird man haben, wenn man sich dazu einen Tag mit Wind aussucht.“
Dazu muss man aber erstmal die Nase in die Luft halten, den Wind sehen und ihn spüren. Man muss sich auf den Wind einlassen und hinein fühlen, ob er gut für Drachen oder besser für das Aufhängen der Wäsche geeignet ist. Ob er sich in Bälde zu einem Sturm entwickelt, wo man besser zu Hause bleibt und alles anbindet, was lose ist. Oder ob der Wind im abflauen ist, bald drückend schweigt, und sich im Hintergrund ein Gewitter aufbaut.
Man soll die Feste feiern, wie sie fallen – sagt ein altes Sprichwort.
Dazu ergänzend sollte man sich aber auch bewusst machen, was „Feiern“ bedeutet. Alkohol in großen Mengen, Fressen bis zum Koma und Party all night long sind auch eine Form von „Feier“. Wenn man sich aber den darauffolgenden Kater anschaut, kann man diese Rechnung nur als negativ bewerten.
Ein bewusst und stimmig gefeiertes Jahreskreisfest bringt hingegen ins Plus und hat im wahrsten Sinn des Wortes eine nachhaltige Wirkung.
Jahreskreisfeste gab es schon lange bevor die heutigen Religionen sie in ihre jeweiligen Kalender integrierten. Die Feste sind alle älter als unsere heutigen Religionen. Sie sind der älteste Kalender der Menschheit, haben uns geführt und für Struktur gesorgt. Das bewusste Wahrnehmen des Wandels im Jahresverlauf ist im Grunde genommen religionsfrei und buchstäblich überkonfessionell. Damit steht der tiefere Sinn der Feiern auch jedem offen. Eine absolutistische Direktive, wie so ein Fest aussehen muss, damit es „wirkt“ gibt es auch nicht. Es gibt nur geschichtliche, ethnologische Hinweise, wie andere sie feiern oder vermutlich gefeiert haben. Daran kann man sich orientieren, aber man muss nicht.
Wer den Erntedank im rein christlichen Sinne bewusst und ernsthaft zelebriert, sich also voll darauf einlässt, der feiert genauso „richtig“ wie diejenigen, die das Fest alleine oder mit einer Gruppe, im Freien oder im Raum, mit Gesang oder Tanz oder in Stille achtsam, aufrichtig und innerlich anwesend feiern.
Richtig feiern, den Sinn hinter dem Fest wahrnehmen, sich die Qualität der Jahreszeit bewusst machen, sich zu fragen, was JETZT zu tun ist, wo es einen Abschluss braucht, wo einen Anstoß, wo Kraft und wo Hingabe notwendig ist … all das und viel mehr kann dahinter stehen, wenn man sich auf ein Jahreskreisfest einlässt. Und da geht es noch nicht mal um das, was man gemeinhin Ritual nennt – denn das ist wieder was anderes.
Es braucht nicht mal den „richtigen“ Zeitpunkt dafür. Klar ist es schön, wenn man sich acht Mal im Jahr zu dem Zeitpunkt mit dem Jahreskreis verbindet, wie es schon Äonen von Menschen vor einem gemacht haben: Die Sonnenwenden, die Tag- und Nachtgleichen und die vier „Kreuzviertel“-Feste dazwischen. Vier Sonnen und vier Mondfeste sind es, die sich gleichmäßig abwechselnd über das Jahr verteilen. Acht Stationen, die sich anbieten gefeiert zu werden.
Aber wenn du zwischendurch, davor oder danach das Bedürfnis hast, dich in diesen heiligen Naturraum zu begeben, um (d)ein Jahreskreisfest zu feiern, dann herzlich willkommen! Das ist absolut legitim, macht Sinn und bringt mehr, als die Sehnsucht zu ignorieren oder sie auf einen klassischen Zeitpunkt zu verschieben.
Die Gründe für so ein Fest können persönlich sein, aus einem unbestimmten Bedürfnis heraus oder einfach spontan. Du gibst das Thema vor, du bestimmst den Ablauf, du führst und begleitest. Alleine oder in Gemeinschaft, kurz oder lang – es gibt kein Regelment, kein richtig oder falsch, außer der einen, absoluten Direktive: Feier mit ganzem Herzen, atme tief ein und aus, höre auf das Schlagen deines Herzens und genieße den uralten Rhythmus, der dich mit allem was war und ist verbindet.
Dann wirst du vielleicht erkennen, dass es nicht die Feste sind, die da gefeiert werden, sondern deine Verbindung, dein Leben und dein Sein im Kreis dieses uralten Rhythmus. Du feierst dich und deine Anbindung an all das, was war, was ist, was kommen mag und dem, was um dich ist. Darin liegt die Kraft und der Zauber von echten Festen, im und rund um den Jahreskreis. Indem man diesen Zyklus ehrt, ehrt man sich selbst, seine Herkunft und diese unglaubliche Kostbarkeit namens Mutter Erde.
4 Comments
Judith Brünn
Namaste – ich grüße das Licht in Dir!
Das ist eine Art Begrüßungsritual im asiatischen Raum, von dem viele auch nicht mehr wissen was die Formel „Namaste“ bedeutet aber sie wird verwendet und macht jede Begrüßung zu einem spirituellen Akt.
Ich wünsche mir, dass noch viele solcher alten Bräuche erhalten bleiben, damit wir Menschen wieder einen Zugang zur Natur und dem Göttlichen finden. Gerade die Jahreskreisfeste sind wunderbar für ein tiefes Naturerleben geeignet, zu dem auch die Gewissheit einer spirituellen Instanz gehört.
Ich würde mir wünschen, in meiner Nähe (Süddeutschland/Lkrs.Biberach-Riss) eine Gruppe mit dieser Intention zu finden .
Grüßle
Judith
Michaela Schara
Vielen Dank, liebe Judith – Namasté! Ich kenne die Übersetzung und habe da schon einige, auch sehr „interessante“ Alternativbedeutungen gehört ;-) Aber „Ich grüße das Licht in dir“ oder „Mein Licht grüßt dein Licht“ passt auch für mich am besten.
Ich freu mich sehr, dass die Jahreskreisfeste ein solches Thema für dich sind und wünsche dir von Herzen, dass du eine Gruppe findest, mit der du sie feiern kannst.
Herzliche Grüße
Michaela
Elanne
Vielen Dank für den schönen Brief, gut, dass es Dir besser geht.
Erntedank ist ein altes Fest überall da, wo es Ackerbau gab. Und man hat gemeinsam geerntet. Gegenüber der Ernte für sich allein ein ungeheuer wohltuendes Erlebnis mit sehr viel Dynamik. Noch besser: dabei zu singen. Welche Energie für unsere versorgende Erde!
Klar kann man auch anders ernten. Mit viel Sorgfalt und Liebe etwas erarbeiten.
Man stelle sich vor, der Neider steht vorm Feld und verhindert, dass das Essen nach Haus kommt und unter den Menschen verteilt wird.Denn das Verteilen ist der notwendige Sinn der Arbeit und Ernte, das gemeinsame Freuen
am Ergebnis.
Wenn die Ernte verrottet, wie bitter!
Einen schönen Erntedanksonntag
Elanne
Michaela Schara
Liebe Elanne, vielen Dank für deine Gedanken und die Ergänzung zu meinen Gedanken!
Wünsche dir auch einen schöne Ernte und ein wundervolles Erntefest,
Herzlichst,
Michaela