Das überraschend junge keltische Baumhoroskop
Dieser Tage kam ein Newsletter in meine Mailbox, wo sich ein Artikel über das „uralte, überlieferte keltische Baumhoroskop“ fand. Der Beitrag war kurz und knapp, der Inhalt wie immer in diesem Fall: Was für ein großer Schatz doch im alten keltischen Wissen steckt und wie gut die Einteilung des Jahres und seiner unterschiedlichen Zeitqualitäten zu den Bäumen passt, so dass hier jeder den Baum findet, der ihm oder ihr seit Geburt zur Seite steht. Abschließend fand sich eine Einladung zum Besuch eines realen Baumkreis, der auf Basis des alten Keltenhoroskops errichtet worden sei.
Der Text ist nett, die Beschreibungen klingen stimmig und die Idee, sich seinen Horoskopbaum zu erwandern, hat was. Doch der Hinweis auf das Alter, die Herkunft und vor allem die „Überlieferung“ des Baumhoroskop ist leider eine sog. Urban Legend – auf Wienerisch: ein Schmäh, a nette G´schicht.
Auch wenn ich nun ein paar schöne Illusionen zerstören muss und manche darob möglicherweise traurig oder schockiert sind: Das uralte keltische Baumhoroskop existiert erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Wurzeln dieses „keltischen Kalenders“, der so wunderbar anschaulich und durchaus nachvollziehbar die einzelnen Charaktere anhand von Baumeigenschaften erklärt, sind in keiner geschichtlichen Überlieferung zu finden. Sie ankern vielmehr im auch nicht sehr alten Neopaganismus (Neuheidentum), der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt hat.
Versucht man die AutorInnen dieser Beiträge auf die doch eher jungen Wurzeln und die absolut nicht vorhandene Überlieferung hinzuweisen, kommen Antworten, dass die ErschafferInnen des keltischen Baumkreises, wie er auch genannt wird, vermutlich mittels Mediation, Trance oder dem berühmten spirituellen Funken aus der Anderswelt inspiriert wurden und eben auf diese Weise entsprechende urkeltische Wurzeln bestehen (könnten).
Das ist eine schöne Assoziation oder auch eine Art Wunschdenken und man könnte es dabei belassen. Den alten Kelten ist es mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit egal, ob man ihnen eine Urheberschaft zuschreibt oder nicht. Der keltische Baumkreis, das keltische Baumhoroskop, egal in welcher Version, schadet niemanden. Es schadet aber umgekehrt nicht, wenn man sich als LeserIn oder beiläufig Interessierte ein paar Gedanken dazu macht und den Wurzeln sog. „Überlieferungen“ immer auf den Grund geht, besonders wenn es einem anspricht und innerlich „berührt“.
Die heute bekannteste und älteste Version des keltischen Baumkreises geht auf Paula Delsol zurück, eine französische Journalistin und Regisseurin. Sie hat 1971 im Auftrag der Zeitschrift Marie Claire gleich mehrere Horoskopsysteme erfunden, die alten Kulturen zugeschrieben wurden. So gibt es seither unter anderem auch ein tibetisches und arabisches Horoskop. Allesamt sind sie genauso frei erfunden, wie das keltische Baumhoroskop.
Die keltische Horoskopversion hat sich in unseren Breiten am intensivsten durchgesetzt und erfreut sich allenthalben heiterer Verbreitung. Vor einigen Jahren gab es eine wahre keltische „Hochblüte“. Keltische Geschichte in jedweder Form war hoch im Kurs und viele fühlten sich als Nachkommen dieser nach wie vor sehr mystischen Kultur. Die Hochblüte der keltischen-Wurzel-Rückbesinnung ist zwar schon wieder im Abklingen. Aber die in dieser Zeit allenthalben entstandenen keltischen Baumkreise, die man unter großem Aufwand gepflanzt, beschildert und touristisch beworben hat, wachsen nach wie vor. Zumindest die meisten bzw. Teile davon.
Viele der Orte, an denen man „keltische Baumkreise“ gepflanzt hatte, weisen in den seltensten Fällen harmonische Ortsqualitäten auf, die einen solchen Baumkreis geomantisch oder radiästhetisch unterstützen würden. Die meisten Bäumen im keltischen Baumkreis zählen zu den sog. Strahlenflüchtern, brauchen also geomantisch-radiästhetisch „ruhige“ Plätze, ohne geopathologische Belastungen. Andere widerum bevorzugen besonders „spannende“ Plätze. Doch in den Baumkreisanlagen wurden sie entweder an einen praktischen Ort in einen Kreis gesetzt, ohne Rücksicht auf die geopathologische Struktur, aber akribisch genau nach der Vorgabe des Baumhoroskops. Oder man hat sie in Form eines Wanderwegs entlang einer Straße gesetzt und so einen modernen „Weg der Kraft“ geschaffen. Zumindest in der Theorie.
Ich kenne einige Baumkreise und -wege und stolpere immer wieder über welche, die meist schon länger nicht mehr aktiv gepflegt werden. Sofern der Kreis noch komplett vorhanden ist, haben die meisten dieser Bäume Wachstumsstörungen, leiden an Krankheiten oder sehen generell nicht so frisch und kraftvoll aus, dass man sich als Mensch, auf der Suche nach seinem Geburtsbaum, damit assoziieren möchte.
Doch auch hier finden sich immer noch genug Menschen, die den zarten, sichtlich belasteten Stamm eines kümmerlichen Apfelbaums liebevoll als „ihren Baum“ umarmen. Ungeachtet der Tatsache, dass der Baum schon alleine genug zu tragen hat, um an diesem Platz zu überleben. Immerhin bekommt der Baum so auch eine gewissen Wertschätzung.
Der Siegeszug des Baumhoroskops brachte es mit sich, dass schon Ende der 80er Bücher darüber erschienen, die sich auf angeblich uralte Texte beriefen und die Mythologie des französisch-keltischen Horoskops der Bäume weiter untermauerten. So wurde zum Beispiel im 1984 erschienen „Bäume lügen nicht – das keltische Horoskop“ von Annemarie Mütsch-Engel auf eine Handschrift in einem polnischen Kloster verwiesen, die es in dieser Form nie gegeben hatte. Diese Erkenntnis ist aber nicht etwa GeschichtsforscherInnen zu verdanken, sondern vielmehr einem Urheberrechtsstreit, wo es um Verwertungslizenzen ging. Im Zuge dessen mussten beide Seiten die Karten offenlegen, wobei herauskam, dass „die uralte Handschrift aus dem polnischen Kloster“ nur ein kurzer Artikel in einer polnischen Gartenzeitschrift war, der auf Paula Delsols ursprünglichem Kelten-Horoskop basierte.
Aber das schadete dem neo-keltischen Horoskop keineswegs. Es entstanden weitere Bücher, Abschriften, Verweise und auch Adaptionen bei den Baumrepräsentanten, bei denen man in Folge auf „ältere“ und „jüngere“ Versionen des Baumhoroskops verwies. So scheint unter anderem in manchen Baumkreis-Systemen die Zeder als Teil des Baumkreises auf. Die aber war den echten alten Kelten nicht bekannt. Sie wurde beispielsweise erst im 17. Jahrhunder in England angepflanzt, da waren die alten Insel-Kelten schon lange Geschichte.
Vor allem in den sog. „älteren“ Baumkreisen erscheint, passend zum Zeitraum rund um Allerheiligen, die Eibe als Repräsentatin der Zeit rund um Samhain. Das hätte die Kelten möglicherweise gefreut, war doch die Eibe eine der heiligsten Pflanzen, die teils sogar als Gottheit verehrt wurde. In anderen („jüngeren“) Baumsystemen wurde die Eibe aber ausgelassen und durch Fichte, Tanne oder den Nussbaum ersetzt. Für unsere heutige Gesellschaft ist die Eibe ein klassischer Friedhofsbaum. Der urkeltische Bezug zum Tod bringt eine düstere Schwere und wenig erbauliche Stimmung in den fröhlichen Baumkreis, der doch das Leben repräsentieren soll.
Dabei vergisst man, dass der Tod den Kelten kein Feind war, sondern ein Tor in eine andere Welt. Er gehörte zum Leben natürlich dazu und war kein abstrakter Fehler im System, als der er heute oft empfunden wird. Reinkarnation war gleichfalls ein Thema und damit wurde der Tod lediglich zu einer Tür, die von einem Dasein ins andere führt. In unserer modernen Gesellschaft sieht man das anders und Menschen, deren Lebensmonat im Zeitraum der post-keltischen Eibenzeit im Horoskop liegt, könnten davon vielleicht peinlich berührt sein und sich unwohl fühlen. Was wenig geschäftsfördernd ist.
Ich gestehe hiermit, dass ich selbst sehr lange an diesen schönen Baumkreis geglaubt habe und mich sehr wohl gefühlt habe darin – als geborene Eibe. Die Eigenschaften und Beschreibungen passten für mich wie die berühmte Faust aufs Auge, mein spiritueller Hungertopf hatte einen passenden Deckel gefunden. Und der mystische Bezug zur mächtigen Eibengottheit war schon auch cool.
Meine Enttäuschung, als ich bei Recherchen die echten Wurzeln des Keltenkalenders entdeckte, war in dem Sinne dann aber dennoch keine. Ich fand es erheiternd und lehrreich. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meine Horoskop-Phase auch schon wieder länger hinter mir und fand es spannend, dass eine ganze Bewegung auf der blühenden Phantasie einer Journalistin eines Frauenmagazins beruhte.
Die Kelten hatten ursprünglich keine Schrift, gelten damit nach heutiger Auffassung auch nicht als Hochkultur. Die später von ihnen verwendete Ogham-Schrift wurde nur für eher kaufmännischen Zwecke und fallweise auch für Grabsteine verwendet, allerdings erst sehr spät. Damit basiert alles Wissen über die keltischen Volksstämme auf den Schriften, die die Völker verfasst haben, mit denen die keltischen Stämmen Kontakt hatten. In der Regel waren das die Feinde dieser Stämme und man kann davon ausgehen, dass man eher wenig Gutes über ein Volk berichtet, dass man unterworfen hat oder in Teilen abgeschlachtet.
Die Zeiten damals waren rauh und brutal, dennoch finden sich auch in diesen Schriften Hinweise auf die Kultur, Rituale, Spiritualität und Gepflogenheiten der keltischen Stämme. Die Liebe und Verbundenheit zur Natur, die Verehrung der Bäume und Baumwesen, generell die sehr naturbetonte Mythologie zieht sich als roter Faden hindurch. Doch nirgends wird auch nur ansatzweise erwähnt, dass diese Stämme so etwas ähnliches wie ein Horoskop in unserem heutigen Sinne hatten. Mag sein, dass man für besondere und hochgeborenen Menschenkinder die Sterne gelesen und „Rücksprache“ mit den Gottheiten gehalten hat, um etwas über ihre Bestimmung zu erfahren. Einen Baumkreis gab es aber nicht.
Die Hochzeit der Kelten, die nicht mal ein einzelner Stamm, sondern mehrere, teils sehr unterschiedliche Stämme mit unterschiedlichen Gottheiten und Ritualen waren, ist gut über 2.000 Jahre vorbei. In Irland und Teilen Englands hat etwas von diesem urkeltischen Wissen überlebt und wird bis heute tradiert, wenn auch in moderner Version und mit Sicherheit anders als vor 2.000 Jahren. Doch auch dort findet man keine Horoskope, die dem keltischen Baumkreis auch nur ansatzweise entsprechen. Außer es hat sich jemand eine englische Ausgabe der oben genannten Bücher oder Zeitschrift besorgt und ist auf den mittlerweile nicht mehr so modernen Zug der Errichtung von keltischen Baumhoroskop-Kreisen aufgesprungen.
Ich weiß noch, dass ich damals, als ich das erste Mal von diesem faszinierenden System der Bäume und ihrer Eigenschaften gelesen habe, alle im Umfeld mit „ihren“ Bäumen beschenkt habe. Rückblickend war es ein netter Gag, der zumindest nachhaltiger war, als ein Strauß Blumen. Die meisten meiner solcherart verschenkten Geburtstagsbäume leben noch.
Die Beschreibungen der Bäume in Bezug auf die Bestimmung derer, die „in ihrem Schatten“ lt. Buch geboren wurden, sind so verfasst, dass man sich leicht wieder findet und mitunter auch Trost und Freude daraus mitnehmen kann. Die solcherart entstandenen physischen Baumkreise regulierten sich in weiterer Folge meist auf ihre eigene Weise. Diese Form der begehbaren Baum-Astrologie ist ohnehin eine Version, die komplett „unkeltlisch“ ist. Die Präsenz und energetische Qualität eines natürlich gewachsenen Baumes, in seinem ureigenen Umfeld und im Verbund mit anderen wild gewachsenen Bäumen, ist eine gänzlich andere, als die eines Baumes aus einer Zucht oder Plantage, der an eine Stelle gepflanzt wurde, die man aus gestalterischer Sicht für passend erachtet hat. So gut wie nie wird hier auf die Natur des Baumes Rücksicht genommen. Was nicht passt, muss sich eben anpassen oder wird passend gemacht. Manche Bäume schaffen das, andere nicht. Manche leben wirklich, andere wachsen nur.
Wenn du dich im keltischen Baumkreis wieder gefunden hast, du „deinen“ Baum für dich entdeckt hast und dir die echten Quellen dieses Systems herzlich egal sind, dann such dir „deinen“ Baum draußen, in der Natur, außerhalb eines Kreises oder einer solchen Anlage. Finde dir deinen Baum mit Charakter, der verbunden ist mit seiner Umgebung – genährt, verwurzelt und authentisch. Die Chance, dass du dann mit diesem Baum eine geomantische Beziehung eingehen kannst, ihr in eine Art „Kommunikation“ tretet, ist viel größer, als wenn du dich in einem künstlich geschaffenen Baumkreis an einen Repräsentanten deines „Geburtsbaumes“ lehnst.
Bäume können wunderbare Helfer, Lehrer und sorgsame Hüter eines Ortes sein. In ihrem Schatten zu sitzen, sich an den mächtigen Stamm anzulehnen oder sie mit Respekt aus der Entfernung zu bewundern, kann einem Kraft, Frieden und Freude geben. Man kann dabei viel über sich selbst erfahren, sich auch Rat und Hilfe holen, oder einfach nur zur Ruhe kommen, damit man den Boden unter den Füßen wieder spürt. Diese Informationen sind viel inniger, authentischer und vor allem viel persönlicher und zutreffender, als alles, was man aus der modernen Interpretation eines Baumhoroskops herauslesen kann.
Lass dich davon bestenfalls inspirieren, aber begib dich ansonsten auf die Findung nach deinem eigenen, persönlichen Baum, wenn du das Bedürfnis danach hast. Wenn das dann ein anderer ist, als im Baumkreis beschrieben – C’est la vie ;-)