Loslassen statt Verzichten
Kurz nach Imbolc-Lichtmess folgt die Fastenzeit. Ein Dauerbrenner, der jedes Jahr zu Aschermittwoch inflationär auftaucht: Das Verzichten auf bestimmte Dingen, Handlungen, Genuss- und Lebensmittel, mindestens für die Dauer der Fastenzeit. Oft kombiniert mit einer Diät und dem Herausposaunen von mehr Fitness-machen-wollen, Gesünder-Leben, Täglich-Laufen usw. usf.
Die meisten dieser Vorhaben haben eine ähnlich lange Lebensdauer wie die vielgepriesenen Neujahrsvorsätze, am Tag nach Aschermittwoch sind sie tot.
Als Grund wird oft der bösartige, garstige, innere Schweinehund und die Macht der Gewohnheit angegeben – neben zahlreichen individuellen, launig-lustig bis rational nachvollziehbaren Hinderungsgründen.
Der wahre Grund für das Scheitern liegt aber meiner Meinung nach ganz woanders: Verzicht bedeutet Strafe – aus welchem Grund auch immer – und das ist im natürlichen Lebensraum irgendwie nicht vorgesehen, da ist der innere Wiederstand vorprogrammiert.
Leichter geht es mit ein wenig Wortkosmetik:
Inhaltsübersicht
Loslassen statt Verzichten, wollen statt müssen.
Loslassen ist mit einem Abschied verbunden und darin steckt dann auch mehr oder weniger die Dankbarkeit, für das Gemeinsam erlebte, und die Versöhnung mit dem, was nun in Frieden gehen kann.
Im Verzichten hingegen steckt die Kasteiung, der harte Schnitt und das Kappen der Sehnsucht, die nun nicht mehr andocken darf. Das macht es schwer.
Wer ein Opfer bringen will, der verzichtet und kann damit ein heroisches Zeichen setzen – in jeder Hinsicht. Doch eine Gewohnheit ändern möchte, der sollte es mit dem Loslassen versuchen. Da sind die Chancen größer, dass die gute Vorsätze auch erhalten bleiben und man aus der Fastenzeit gewandelt hervorgeht.
Loslassen ist viel entspannter als verzichten. Auch wenn man kein Freund von Verabschiedungen ist, so ist es ein gutes Ritual, sich zu bedanken und Adieu zu sagen, denn so kann dieses Kapitel auch im Kopf und in der Seele abgeschlossen werden. Verzicht schneidet, verabschieden löst und hinterlässt weniger Narben.
Eine Auswahl an Möglichkeiten, wie man mit Genuss fasten und loslassen kann, gibt es hier, in meinem Artikel “Fastenzeit? Genusszeit!”.
Woher kommt die Fastenzeit?
Der Sinn hinter dieser Fastenzeit vor Ostern lag, abgesehen von biblischen Vorgaben, ursprünglich woanders. Die harte Winterzeit näherte sich dem Ende, die Vorräte gleichfalls. Nun ging es darum den Rest klug einzuteilen und mit allfälligen frischen Gaben der Natur zu ergänzen. Fleisch war ohnehin nie für den täglichen Verzehr gedacht und Sport wurde durch die harte Arbeit auf den Feldern und im Wald automatisch genug getrieben. Das Verzichten auf Süßes war in der damaligen Zeit auch kein Thema, die Schokolade wurde erst viel später erfunden.
Insofern ist die Nahrungsreduktion eine sinnvolle Vorgabe, mit der man die Vorräte in früheren Zeiten leichter strecken konnte. Nebenbei werden so auch die Substanzen losgelassen, die einen träge und langsam machen. Was zur Winterzeit ok ist und durch die schwere Nahrung begünstigt wird – Erdung intensiv sozusagen. Nun aber brauchen Hirn und Körper etwas mehr Leichtigkeit und die liegt nicht im Gesottenen und Gebratenen. Viel trinken, damit der Körper auch innerlich gereinigt wird, und die ersten grünen Kräuter und Gemüse, die sich langsam den Weg ans Licht bahnen, genießen hilft beim Loslassen der Winterschwere.
Die Fastenzeit fordert also zu einem bewussteren Umgang mit dem auf, was wir zu uns nehmen. In früheren Zeiten eine überlebensnotwendige Maßnahme. In heutiger Zeit eine lebensfördernde. Denn Leben ist nicht nur das Aufrechterhalten der Vitalfunktionen, sondern auch, dass man sich das Lebenswerte bewusst macht. Was brauche ich zum Leben, was hat welchen Wert für mich? Dieses Nachdenken vor dem Konsum von Nahrung, in geistiger und realer Form, kann schon viel ausmachen und ist auch eine Form von Fasten. Man lässt die Hektik los und ladet sich das Bewusstsein ein.
Loslassen und Ausmisten
Abgesehen von einem behutsameren Umgang mit Worten liegt im Loslassen auch eine wunderbar, reinigende Kraft. Ich empfinde auch das Wort “ausmisten” als positiv. Das kommt zwar eigentlich aus dem Stall, wo man die Stoffwechselendprodukte des Viehs regelmäßig auf den Misthaufen schaufelt (der dann in weiterer Folge als Dünger für die Felder diente). Aber Ausmisten passt auch gut zum Reinigen im Haus und in der Umgebung. In der Zeit vor Ostern steht ja traditionell auch irgendwann der mehr oder weniger geliebte Frühjahrsputz ins Haus.
Das ist mitunter mühsam und mit Trennungsschmerz verbunden – den man sich mit einer herzlichen Verabschiedung leichter machen kann.
Hier ein paar Ideen und Anregungen:
Ausmist-Loslass-Rituale – auch Frühjahrsputz genannt
- Die Kleiderkästen und Truhen einer Inventur zu unterziehen und bei jedem Teil entscheiden, ob man es mitnimmt in die kommende Zeit, oder weiter wandern lässt. Oft freut sich ein anderer darüber. Ich bin ein bekennender Fan von Second Hand Läden, wo ich einerseits meine abgelegten Schätze hintrage und andererseits neue finde. So freuen sich gleich drei Leute drüber: Der, der verkauft, die, der das Geschäft gehört und ich, die mit einem Schnäppchen heim wandert.
Aber auch Tauschaktionen im Freundes und Bekanntenkreis oder Spenden an andere, die weniger haben und sich über gute Kleidung, Bücher, Hausrat freuen.
Zwei gute Möglichkeiten festzustellen, was von der Fülle man noch gebraucht wird und was gehen kann:
- Die Kleiderbügel so drehen, dass der Hacken nach vorne schaut. Wenn man durchs Jahr Kleidung heraus nimmt, hängt man sie danach so in den Kasten, dass der Hacken nach hinten offen ist. Nach einer Saison, einem Jahr hat man einen Überblick, was man auch tatsächlich getragen hat.
- Einen großen Koffer mit all den Dingen packen, die man für vier Wochen auf einen Urlaub mitnehmen würde. Aus diesem Koffer lebt man dann einen Monat lang. Erfahrungsgemäß nimmt man nur die Kleidungsstücke mit, die man am liebsten hat, die am praktischsten und notwendigsten sind. Kommt man mit dem Zeug durch, dann hat man seine Grundgarderobe gefunden und der Rest … darf weiter wandern. Merkt man, dass einem was Entscheidendes aus dem vorhandenen Repertoire fehlt, dann darf man bei sich selbst einkaufen gehen – aber nur dieses eine Teil! Und wirklich nur einen Koffer packen ;-)
Das macht man idealerweise vor jedem Saisonwechsel, als im Frühling, im Sommer, Herbst und Winter. Nach einem Jahr hat man seine Garderobe auf ein sinnvolles Maß zurückgeschraubt und Platz in den Kästen geschaffen.
- Bücher sind Nahrung für die Seele und man kann damit auch andere füttern. Viele öffentliche Bibliotheken freuen sich über Bücherspenden (nachfragen!) und im urbanen Raum gibt es immer mehr Tauschboxen, wo man seine Bücher hintragen kann und andere findet.
- Die Vorratsschränke in der Küche gründlich ausmisten und aus dem, was bald ablaufen wird oder schon lange ungenutzt aufbewahrt wurde, ein Festessen kochen – für die Familie und/oder Freunde. Das fördert die Beziehungen und die Kreativität, wenn man aus dem bunten Angebot des eigenen “Bevor etwas Abgelaufenes läuft”-Sortiments neue Gerichte zaubert.
- Krimskrams, Nippes, alte Ansichtskarten und die sogenannten Staubfänger, die sich im Lauf der Zeit überall ansammeln, kann man gut zu einer Collage verarbeiten und so die zu dieser Jahreszeit auflebende Kreativität spielen lassen. Entweder um das eigene Heim oder Büro zu verschönern, oder als selbstgemachte Geschenke für andere.
- Die Zettelwirtschaft am Schreibtisch und im Regal ist meist der Punkt, wo man beim Aufräumen die Zähne besonders intensiv zusammenbeißen muss, damit man genug Biss hat das durchzuziehen. Die Kreativität hat hier selten Spielraum, aber dafür gewinnt man mit jedem Zentimeter frei gewordener Arbeitsfläche Raum und nach einiger Zeit entsteht ein regelrechter Flow. Hat man es dann geschafft und der Schreibtisch ist leer: ein Foto machen, ausdrucken und als Motivation aufhängen.
Das Loslassen darf sich auch im virtuellen Raum ausbreiten:
- Im Computer: Nach einem BackUp die Dateien und Programme löscht, die nicht mehr gebraucht hat.
- Im E-Mail-Postfach: nach einem BackUp, wo man zur Sicherheit alles abspeichert, was sich da so angesammelt hat, wird gründlich gelöscht. Alles, was älter als ein Jahr ist (das ist meine Zeitspanne, kann gerne auch verkleinert werden), wird gelöscht.
- Die Adressen sollte man auch von Zeit zu Zeit durchgehen. Oft finden sich hier zahlreiche Karteileichen, die man mit sich herumschleppt. Das kann man sich durchaus bildlich so vorstellen, dieses Herumschleppen.
- Die Freundeslisten in den Sozialen Netzwerken sind ein weiterer Punkt, den man von Zeit zu Zeit einem Clearing unterziehen sollte. Zwar gilt man bei manchen virtuell reicher, je mehr Freunde-Kontakte man vorweisen kann – aber das ist in den meisten Fällen mit dem Spielgeld aus Monopoly zu vergleichen: in der realen Welt nicht verwendbar.Sich diese Liste durchzusehen und zu überlegen, mit wem man wirklich Kontakt hat und auch Kontakt haben will, ist ein durchaus legitimer Akt des persönlichen Loslass-Rituals. Nebenbei steigert sich die Qualität der Beziehungen, mit denen man dann noch verbunden ist. Ganz im Sinne von weniger ist mehr.
Das sind nur ein paar Beispiele, die als Grundlage für eigene Ideen wirken sollen. Das schwerste bei allen ist immer der erste Schritt, der Start. Aber wenn man dann mal angefangen hat, geht es mit jedem Handgriff leichter – Ausprobieren!
Und wer beim Starten Schwierigkeiten hat, der sollte sich mit Gleichgesinnten absprechen und den Start gemeinsam wagen. Da wirkt die Gruppendynamik und man kann sich über die jeweiligen Erfolge austauschen.
Habt Ihr Ideen für Loslass-Punkte, Ausmist-Rituale oder Genussfasten? Ich freue mich auf eure Anregungen! Einfach einen Kommentar hinterlassen :-)